Ein revolutionäres Manifest zum 1. Mai
Der Tag der Arbeit, der Arbeiterschaft und der internationale Kampftag der Arbeiterklasse. Die USPD füllt sich daher bewegt, in der Freiheit ein Manifest zu veröffentlichen, welches das internationale Proletariat ansprechen soll. Pathetisch wird dabei der Erfolg der Weltrevolution herbeigesehnt. Die Erfolge in Sowjetrepubliken in Russland und Ungarn werden gelobt. Der geplante Aufbau des Völkerbundes wird als "Imperialismus" gegeißelt. Nun soll die eigene Arbeiterschaft folgen, vorgeblich um den Weltfrieden bald herzustellen.
Volltext:
Der Berliner revolutionären Arbeiterschaft zum 1. Mai 1919 an das gesamte internationale Proletariat.
Nach 4½jährigem Bruder- und Völkermorden, nach 4½jährigem Verleugnen des Sozialismus und Triumph des Imperialismus und Kapitalismus feiert das wiedererwachte deutsche sozialistische Proletariat im Morgenrot der menschheitsbefreienden Weltrevolution den Weltfeiertag der Arbeit und sendet dem Proletariat des ganzen Erdballes seine brüderlichen Grüße.
Völkerfriede! Völkerfreiheit!
Völkerglück!
Groß und verheißungsvoll sind diese drei Worte, voll heißer Sehnsucht schlummern sie in jedes Menschen Brust. Wir wollen dem Völkerfrieden zum Durchbruch verhelfen und die Völkerfreiheit schaffen. Dieser Zustand ist nur zu verwirklichen durch die Ueberführung der Produktionsmittel in den Besitz der Allgemeinheit, durch Errichtung der sozialistischen Gesellschaft.
Nicht der Völkerbund der Imperialisten und des Kapitals kann den Sozialismus herbeiführen, sondern die Vereinigung der sozialistischen Proletarier aller Länder, getragen von der Solidarität, befreit von Haß und Neid, erfüllt von dem Sehnen der arbeitenden Massen nach Glück und Wohlstand, ist nur dazu in der Lage. Der Bund der sozialistischen Völker kennt keine Vergeudung seiner Produkte durch den Militarismus und Imperialismus, er kennt nur das Streben nach wirtschaftlicher und kultureller Hebung.
Friede, Freiheit und Glück im eigenen Lande und der ganzen Welt, Beseitigung jeder Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, Vernichtung jeder Gewaltherrschaft, Errichtung einer Gemeinschaft der Gleichheit und Solidarität, das ist das Ziel des Sozialismus!
Die Versammelten protestieren darum auf das entschiedenste gegen die Gewaltmaßnahmen der Regierung, gegen die Konsolidierung einer neuen brutalen Soldateska, die uns die Verachtung der ganzen Welt einträgt. Sie protestieren gegen die Verschacherung der sozialistischen Grundsätze an das Kapital, und wollen nicht ruhen und rasten, bis ein freies sozialistisches Deutschland auf dem Boden des Rätesystems stolz und festgefügt errichtet ist.
Im Bewußtsein, daß die Arbeiterschaft aller Länder von demselben Geist und Wissen erfüllt, begrüßen wir die Weltrevolution, insbesondere das russische und ungarische Proletariat, das sich endgültig von den Fesseln des Kapitalismus frei gemacht!
Nach den Worten Karl Marx, unseres großen Vorkämpfers, daß die Befreiung der Arbeiterklasse nur ihr eigenes Werk sein kann, gelobe wir heute am 1. Mai, dem Weltfeiertag des internationalen Proletariats, unseren russischen und ungarischen Genossen schleunigst auf dem Wege zu folgen, denn die Weltrevolution nur allein kann der gesamten Menschheit den Völkerfrieden, die Völkerfreiheit und das Völkerglück bringen!
Verband der Wahlvereine Groß-Berlin (U. S. P.)
Fraktion der U. S. P. D.-Arbeiterräte Groß-Berlin.
Quelle:
Die Freiheit vom 1. Mai 1919, 2:207 (1919), Morgen-Ausgabe, S. 1.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Mai#/media/File:Maifeier_Volksstimme_Frankfurt_1901.jpg