Geld mit Büchern zu verdienen ist nicht leicht
Klemperer lobt den Kulturhistoriker Jacob Burckhardt über den grünen Klee und verweist auf die Wichtigkeit von dessen Werk für seine eigene Arbeit. Außerdem berichtet er von der Schwierigkeit, Bücher zu veröffentlichen und Gewinn damit zu machen. Der Zahnarzt ist immer noch ein Thema und er nutzt den Weg dorthin, die Umgebung zu beschreiben.
Volltext:
Montag früh gegen 7 Uhr 26/Mai 19.
Den ganzen Vormittag, vor dem Abendessen, vor dem Schlafengehen - jede freie Minute setzte ich angestrengt u. concentriert an Burckhardt. Schließlich schrieb ich die letzte Zeile daran um 11 Uhr. Fast 24 Seiten Exzerpte. Seit dem 13. Mai habe ich immer angestrengter daran gearbeitet. Erst als ich das Werk mit der Feder in der Hand durchging, fand ich hinter seinen kulturhistorischen Einzelnotizen (an denen die Urauflage ärmer ist als Geigers Erweiterung) die Überfülle an Geist, Urteil, Synthese. Das Buch hat eine ganze Literaturepoche auf dem Gewissen. Mir selber gibt es Fundament für meine große Arbeit.
Voßler erzählte, Geiger habe ihn aufgefordert, zur 10. Auflage beizusteuern. Voßler lehnte ab: Das Buch sei aus der Reihe kulturgeschichtlicher Forschungsberichte herausgetreten, sei nun ein Kunstwerk für sich, dessen Erstauflage im Werte steige. Geiger druckte diesen Brief in seiner 10. Auflage, Vorwort, ab u. widerlegte ihn; Voßler erwiderte in einem Aufsatz im Logos. (Ich hatte Geigers 9. Ed. hier. Er verwischt u. erstickt die Dinge durch sam melsurischen Zusatz von Notizenmaterial).
Voßler betonte mir mehrfach: Jahrelang ein Buch ausbrüten, nicht viele Kleinigkeiten. Der dümmste Fachkollege merke immer noch, ob eine Sache ernst gearbeitet oder flüchtig sei; Spitzers u. Küchlers Zersplitterungen imponierten nicht. (Allmählich lerne ich Namen u. Ort u. Art der mithungrigen romanischen Mäuler kennen. Es sind nicht allzuviele, aber auch der Posten sind wenige)... Wie selbst V. Schwierigkeiten hat, seine Bücher anzubringen: er geht jetzt Winter um den Bart, seinen Lafontaine zu drucken, verzichtet auf Honorar ... Er erzählte von Wölfflin: als Bürger, der vor Verdun fiel, ins Feld ging zusammen mit Kutscher, sagte W: »Herr Kollege, diese beiden kommen wieder!« Nach Bürgers Tod sagte er den Studenten, dies sei deßhalb ein so großer Verlust für die Wissenschaft, weil man noch gar nicht ermessen konnte, was u. in welcher Richtung er gewirkt haben würde. (Obwohl doch schon vieles von B. vorlag!) - Abends nach 11 Uhr. Der Gang zum Zahnarzt durch den Hofgarten, zweimal wöchentlich Vormittags, ist eigentlich das Einzige, was wir an Frühlingsgenuß haben. Sehr hübsch die italienischen Colonnaden an dem Park, die alten Geschützrohre im Grünen, die Tiefe vor dem Armeemuseum, das moderne feldgraue Treiben der Besatzung dort mit Maschinengewehren u. Automobilen, das Flüßchen weiter hinten. – [...]
Ich schrieb an Berthold, ziemlich kühl, nur über meine Lage hier in Umrissen, pessimistisch ... Dann einen Brief an Pontius, der das fröhlichste Landsknechtsleben beim Freicorps Wolf führt. Auf einer Ansichtskarte aus Augsburg - er war inzwischen in Lindau u. anderwärts – schreibt er: Ich kaufe mir einen Baedeker. [...]
Quelle:
Nowojski, Walter (Hrsg.), Victor Klemperer. Leben sammeln, nicht fragen wozu und warum. Tagebücher 1918 - 1924, Berlin 1966, S. 119 f.
Bild:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/5/52/Burckhardt.JPG/518px-Burckhardt.JPG