Was tun? - Also das ganz bestimmt nicht!
Der Krieg ist verloren, die ehemaligen Verbündeten besiegt. Im Westen erhebt sich ein bedrohlicher Machtblock bestehend aus Frankreich, Großbritannien und den USA. Wenn diese sich zu einem dauerhaften Defensivbündnis zusammen schlössen, was sollte man dann tun? Die alten Verbündeten sind fort, man müsste sich neue suchen; nur wo? Manchen scheint die UdSSR als ein möglicher Ausweg vor der westlichen Bedrohung. Doch sollte man sich tatsächlich dem Bolschewismus annähern, nur um den Alliierten eins auszuwischen?
Volltext:
Unsere Versailler Politik.
Die Franzosen und Engländer wissen sehr wohl, daß alle Politik wandelbar ist, und gehen deshalb auf ein Defensivbündnis mit der amerikanischen Union gegen Deutschland aus. Damit wäre der Völkerbund glatt und amtlich erledigt. Unsere Regierung würde auf diese Weise gezwungen, sich zur Sicherung Deutschlands ebenfalls nach Bundesgenossen umzusehen. Wir würden dann schließlich bei dem alten Gleichgewicht der Kräfte, dieser beständigen Bedrohung des Weltfriedens, in neuer Aufmachung landen. Die Frage ist nun, wie die deutsche Auslandspolitik eingestellt werden soll, um dem drohenden Defensivbündnis gleiche Kräfte entgegenzustellen. Es ist oft genug gesagt worden, daß der Mangel an Stetigkeit in unseren internationalen Beziehungen der erste Anstoß zu dem Verhängnis wurde, in das Deutschland durch den Weltkrieg geraten ist. Alles ist sich darüber einig, daß dieser Kardinalfehler in Zukunft vermieden werden muss. Aber was soll nun geschehen, besonders auch angesichts des neuen Bündnisses Amerikas und der beiden großen Westmächte, vorausgesetzt, daß dieses Tatsache wird?
Bekanntlich neigten früher die Konservativen zu einem Zusammenhalten mit Russland, die Liberalen mit England, die Sozialdemokraten mit Frankreich, das Zentrum hielt vor allem an dem großdeutschen Gedanken fest. Nun sind die Spartakisten an die Stelle der Konservativen getreten und erblicken das Heil der Welt in einem Bündnis mit dem russischen Bolschewismus. Die Unabhängigen pendeln zwischen Russland und Frankreich hin und her. In weiten Kreisen verschiedener Parteien hört man wieder das Wort „Kontinentalpolitik gegen England“, besonders mit Rückblick auf den von Downing Street ausgehenden Plan einer wirtschaftlichen Erdrosselung Deutschlands nach ägyptischem Muster. Merkwürdigerweise gewinnt auch die Idee einer Verständigung und Verbrüderung mit Russland in bürgerlichen Kreisen an Boden, wobei wir von der wahnsinnigen Drohung an die Entente, man wolle sich mit Haut und Harren bloß deshalb dem Bolschewismus verschreiben, damit die ganze Welt daran erkranke und untergehe, gänzlich absehen wollen.
Zu allen diesen Vorschlägen haben wir folgendes zu bemerken. Selbst wenn das angedrohte Defensivbündnis abgeschlossen wird, könnte doch nur ein oberflächlicher Geist die Rettung dagegen in einem Bündnis mit den bolschewistischen Ostmächten erblicken. Aber jeder Staatsmann muss wissen, daß viel stärker als die Kraft der Bündnisse die der Ideen sich in der Weltgeschichte geltend macht. Und auf welcher Grundlage könnte sich eine Annäherung zwischen Deutschland und Russland vollziehen, da doch die Idee des Bolschewismus durch die Maßnahmen Lenins und Trotzkis endgültig zu alten Eisen geworfen ist, da der Bolschewismus, nachdem er sich kulturell als die schlimmste Barbarei aufgemacht,
wirtschaftlich, politisch und militärisch sich als so undurchführbar erweist, daß er in jeder dieser drei Beziehungen in das gerade Gegenteil sich wandeln musste, um wenigstens den Namen zu retten und die Herrschaft der russischen Gewalthaber zu erhalten. Es wäre eine fatale Wahnsinnstat, wollte man zu Russland, so wie es heute ist, seine Zuflucht nehmen. Frankreich, England, Amerika würden durch das Defensivbündnis vollständig ausscheiden. Was bleibt uns da noch an Möglichkeiten zur Orientierung unserer Politik übrig? Darauf kann man nur die Antwort geben, daß die Stunde zu definitiven Einstellung unserer Politik noch nicht gekommen ist. Von hoher Warte aus müssen unsere Staatsmänner die Entwicklung der Dinge verfolgen und jede günstige Konjunktur ausnützen, bis einmal eine endgültige Feststellung sich empfiehlt. Es bleibt ganz sicher nicht alles so, wie es heute ist. Man denke nur an die Gegensätze zwischen England und Amerika, Amerika und Japan usw. Diese Gegensätze können und müssen unter Umständen Deutschlands Stärke werden. Unter Umständen, sagen wir, denn vorläufig ist doch auf alle Fälle die Weltfriedensidee unsere beste Waffe; sie hat in allen Ländern unzählige Anhänger, auch in Frankreich und England, und sie hat für sich die großen Worte Wilsons.
Quelle:
Der Deutsche vom 02. Mai 1919, Nr. 101.
In: h t t p s : / / z s . t h u l b . u n i - j e n a . d e / r s c / v i e w e r / j p o r t a l _ d e r i v a t e _ 0 0 2 4 7 6 2 5 /SDH_19376538_1919_Der_Deutsche_0423.tif
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