BBZ fordert: "Vereinigung von Deutschland und Österreich unter Schwarz-Rot-Gold!"
Die nationalliberale Berliner Börsen-Zeitung (BBZ) nimmt Stellung zu den Ereignissen in der ehemaligen KuK-Monarchie und sieht eine neue Epoche deutscher Geschichte heranbrechen. Die Vereinigung Deutsch-Österreichs mit dem Rest des Deutschen Reiches sei eine historisch unabwendbare Entwicklung, die sich unter den Farben Schwarz-Rot-Gold vollziehen werde. Der "Geist der Paulskirche" wehe von Berlin bis Wien durch das ganze Reich.
Volltext:
Die Ereignisse, die sich gegenwärtig in Deutsch-Oesterreich vollziehen, bedeuten den Beginn einer neuen Epoche deutscher Geschichte. Ob sie auf den Krieg oder auf die Art des Friedensschrittes einen großen Einfluss haben werden, ist eine andere Frage. Und hierin unterscheidet sich vielleicht am stärksten ihrem ganzen Charakter nach die ganze Bewegung Deutsch-Oesterreichs von den Revolutionen in Prag, Budapest und in anderen Orten der vormals habsburgischen Monarchie. Auf die Tschecho-Slowaken kann die Entente zählen, sie sind ihre Bundesgenossen. Und es wäre sehr töricht von uns, wenn wir weiterhin den Glauben hegen sollten, Ungarn werde für uns noch ein Bollwerk gegenüber einem Vormarsch der Feinde nach dem deutschen Südosten sein können und wollen. Im Namen aller dieser Nationen hat der Graf [Gyula] Andrassy [der Jüngere] gesprochen, die Deutsch-Oesterreicher lehnen ihn als ihren Vertreter ab. Sie erklären sich mit allen einem Frieden zustrebenden Schritt einverstanden. Sie verweigern aber die Gefolgschaft bei der Felonie gegenüber den detuschen Bundesgenossen, dessen tapfere Soldaten zu Tausenden für Oesterreich-Ungarn ihr Leben gelassen haben. Aber Deutsch-Oesterreich tut das nicht nur aus Pflichtbewußtsein und entsprechend dem ritterlichen Sinn der Bevölkerung. Leitend ist für den deutschen Nationalrat und für die begeisterte, durch die Straßen Wiens flutende Menge der Gedanke engster Zusammengehörigkeit allen Volkes deutscher Nation in der Stunde schwerster Gefahr. Schwarz, rot und gold weht das Banner vor Deutsch-Oesterreichs Parlament. Angesichts dieses Symbols werden in ganz Deutschland die Erinnerungen wach an eine, wie wir bisher glaubten, längst versunkene Zeit. An die Zeit, als Deutschland aus der furchtbaren, auf die Befreiungskriege folgenden Enttäuschung aufwachte, und vom Norden bis zum Süden die Bürger, Bauern und Arbeiter den Versuch machten, einen einheitlichen demokratischen deutschen Staat ins Leben zu rufen. Es ist für das Schicksal unseres Vaterlandes gewiß kein Glück gewesen, daß die Widerstände sich als zu groß erwiesen und daß die politisch eReise der Nation nicht ausreichend war, die von dem Idealismus der geistigen Führer unseres Volkes getragenen hohen Ziele einer real-politischen Verwirklichung entgegenzuführen. In anderer Weise nach einem Kriege, der Deutsche gegen Deutsche ins Feld führte, ist das neue Deutsche Reich gegründet worden. Deutsch-Oesterreich, das ein so starker Träger der nationalen wie der demokratischen Empfindungen gewesen war, blieb ausgeschlossen und staatsrechtlich gekettet an Nationen, mit denen es wenig gemein hatte und die von Feindschaft gegen alles Deutsche erfüllt waren. Der Krieg hat diese Fesseln gesprengt. Deutsch-Oesterreich besinnt sich auf seine Vergangenheit, es verlangt eine national-deutsche Politik, geführt von einer auf demokratischer Grundlage ruhenden Regierung.
Das Deutsche Reich hat ebenfalls in den letzten Wochen eine gewaltige Umwälzung erfahren. Das bisher bureaukratische und militaristische Preußen, dessen Wesensart auch mehr und mehr auf Süddeutschland abgefärbt hatte, muß sich wandeln. Das Deutsche Reich bekennt sich zu demokratischen Grundsätzen, und der Geist der Paulskirche zieht wieder durch die Lande. Das verbindet Berlin und Wien viel enger noch als es vor siebzig Jahren der Fall war. Denn die Anschauungen, die unsere politischen Ziele jetzt erfüllen, sind fester gegründet als damals. Wir haben erkannt, was gut und tüchtig am alten Preußen und damit am neuen Deutschen Reiche war. Wir sind uns aber aus dem Zusammenbruch, den uns dieser Weltkrieg bringt, bewußt geworden, daß militärischer Sinn, Disziplin und Ordnung allein es noch nicht machen, sondern daß der deutsche Staat zu seinem Leben der Selbstregierung durch ein freies Volk bedarf. Wie sich auch die Zukunft gestalten mag, die politische Atmosphäre, die des Deutschen Reiches und Deutsch-Oesterreichs Zukunft durchdringen wird, wird dieselbe sein.
Quelle:
BBZ Nr. 513 / Jg. 64 vom 1.11.18
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1918-11-01/2436020X/
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_B%C3%B6rsen-Zeitung#/media/File:Berliner_boersen-zeitung_logo1914.png