"Großer Verdienst am weimarischen Volke": Friedliche Revolutionen in Thüringen
Im Laufe des November stürtzten alle deutschen Fürstenhäuser, doch geschah dies in unterschiedlicher Geschwindigkeit und nicht alle Fürsten wurden mit so viel Mißgunst verabschiedet wie die Wittelsbacher oder Hohenzollern. Die acht thüringischen Staaten erlebten jeder für sich eine Revolution im Kleinen, wobei mal die MSPD, mal die USPD die Hauptakteure stellte.
Im Fürstentum Schwarzburg-Sonderhausen dominierte die USPD, die unter der Führung von Wilhelm Bärwinkel zuerst ein All-Parteien-Bündnis bildete, welches am 12. Nov. demokratische Reformenwünsche an den Schwarzburger Fürsten richtete. Später ging Bärwinkel eine Koalition mit der DDP ein.
Im größten der thüringischen Staaten - Sachsen-Weimar-Eisenach - sprach August Baudert (MSPD) am 14. Nov. in einem ähnlichen Geiste Dankesworte an den freiwillig zurückgetretenen Wettiner Großherzog aus. In diesen "engeren Vaterländern" gab es keinen Wunsch nach einem gewaltsamen Umsturz.
Volltext 1:
Antrag des Ausschusses für Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten
Berichterstatter: Abgeordneter Weber
Der Landtag wolle beschließen,
die Fürstliche Staatsregierung zu ersuchen, alsbald einen neuen Gesetzesentwurf über das Wahlrecht zum Landtag vorzulegen, welcher das allgemeine, gleiche, geheime, direkte für Personen vom vollendeten 24. Lebensjahr ab vorsieht unter Einführung der Verhältniswahl in Oberherrschaft und Unterherrschaft für je 8 Abgeordnete.
Sonderhausen, den 12. November 1918
Der Ausschuss für Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten.
[Felix] Hallensleben, Vorsitzender
[Wilhelm] Bärwinkel [USPD]
Schwabe
Köhn
[Wilhelm Georg] Weber, Berichterstatter
[Der Antrag wird vom Landtag einstimmig angenommen, Anm.]
Volltext 2:
Regierungsvertreter [August] Baudert: Meine Herren! Die alles umwälzenden Ereignisse der letzten Woche sind auch an unserem engeren Vaterlande Sachse-Weimar-Eisenach nicht spurlos vorübergegangen.
Jener Gedanke, der bereits vor 70 Jahren [also 1848, Anm.] das freiheitlich gesinnte Bürgertum in Deutschland begeisterte, er lohte aus immer glimmenden Funken zu einer mächtigen Flamme empor.
Über Nacht erhob sich kühn die Revolution. Die Throne brachen und Dynastien jahrhundertealter historischer Vergangenheit sind vom Schauplatz ihres Daseins verschwunden. Das ist auch in Sachsen-Weimar-Eisenach der Fall. Der letzte Sproß der Wettiner auf dem Throne unseres engeren Vaterlandes hat dem weimarischen Volke noch einen großen Dienst dadurch erwiesen, daß er sich, den Ereignissen Rechnung tragend, zu dem gleichen Schritt entschloß, den auch die Fürsten anderer deutschen Bundesstaaten tun mußten.
Am Abend des 9. November dieses Jahres unterzeichnete Wilhelm Ernst die historische Urkunde folgenden Wortlautes:
Dem mir von der Vertretung der Soldaten und Arbeiter in Weimar aufs ausdrücklichste ausgesprochenen Wunsche, für mich und meine Familie auf den Thron zu verzichten, um dem drohenden Bürgerkrieg vorzubeugen, leiste ich Folge und erkläre hiermit, daß ich für mich und meine Familie für alle Zeit auf den Thron und die Thronfolge im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach verzichte.
Weimar, den 9. November 1918.
gez. Wilhelm Ernst
Meine Herren! Von dem Augenblick an, wo durch diesen Verzicht auf den Thron kein Fürst mehr im Lande regierte, und durch die Übernahme der Regierungsgewalt seitens der republikanischen provisorischen Regierung das revidierte Grundgesetz vom 15. Oktober 1850 über die Verfassung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach vom 5. Mai 1816 außer Kraft gesetzt war, erlosch auch das Mandat des Landtages.
Noch in den letzten Tagen seiner Tätigkeit beschäftigte den Landtag die Umgestaltung des Wahlrechts. Die nächsten Wahlen, die nun stattfinden werden, zur deutschen Nationalversammlung oder einer gesetzgebenden Körperschaft für das gesamte Thüringen werden unter einem so demokratischen Wahlrecht ausgeübt werden, wie es vor 70 Jahren schon fast im gleichen Umfange in unserem Lande bestand. [...]
Ich habe meinen Auftrag damit erfüllt und erkläre hiermit namens der provisorischen Regierung den Landtag für aufgelöst.
Quelle 1:
Verhandlungen des Landtages für Schwarzburg-Sonderhausen, Sitzungsperiode 1916-1919, Antrag CLXXXI. vom 12. Nov. 1918, S. 502
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00224126/Film-430_0891.tif
Quelle 2:
Protokoll der 59. Sitzung des Landtages von Sachsen-Weimar-Eisenach am 14. Nov. 1918, S. 1479f.
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00224126/Film-430_0891.tif
Bild 1:
https://de.wikipedia.org/wiki/Th%C3%BCringische_Staaten#/media/File:Thueringen_1910.svg
Bild 2:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzburg-Sondershausen#/media/File:Flagge_F%C3%BCrstentum_Schwarzburg-Sondershausen.png
Bild 3:
https://de.wikipedia.org/wiki/August_Baudert#/media/File:WP_August_Baudert.jpg
Bild 4:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sachsen-Weimar-Eisenach#/media/File:Flagge_Gro%C3%9Fherzogtum_Sachsen-Weimar-Eisenach_(1897-1920).svg