Hugo Preuß: "Sozialreformen jetzt!"
Die Vossische Zeitung berichtet über eine Reforminitiative des liberalen Berliner Kommunalpolitikers Hugo Preuß bezüglich der Kriegsbeschädigtenversorgung. Preuß wird wenige Tage später zum Staatssekretär des Inneren benannt und mit der Ausarbeitung der späteren Weimarer Reichsverfassung beauftragt.
Andernorts sieht die Vossische die Zeit für eine Wiedervereinigung der zwei Arbeiterparteien MSPD und USPD gekommen.
Volltext:
Professor Preuß über die Kriegsbeschädigtenfürsorge
Wir stehen bereits im fünften Kriegsjahr, und noch ist die Frage der Kriegsbeschädigtenfürsorge nicht endgültig geregelt, das Verhältnis zwischen den freiwilligen Nothelfern und dem eigentlich verpflichteten Trägern der Last noch auf keine klare und feste Grundlage gestellt. Stadtrat Prof. Dr. Hugo Preuß führt in der demnächst erscheinenden Nummer der "Kriegsbeschädigtenfürsorge", offizielle Zeitschrift des Reichsausschusses der Kriegsbeschädigtenfürsorge, dazu aus:
Das Reich hat bisher 10 Millionen Mark für die Kriegsbeschädigtenfürsorge bewilligt und an die Hauptfürsorgeorganisationen nach der Bevölkerungszahl verteilt. Davon entfielen aber auf die Stadt Berlin ganze 159.000 M. Heute ist dei letzte Rate nicht nur längst verbraucht, sondern es sind für die aus Reichsmitteln zu leistenden Ausgaben bereits 100.000 M. aus städtischen Mitteln vorgeschossen. Außerdem hat die Stadt einen noch erheblich höheren Beitrag aus eigenen Mitteln aufgewendet. In genau gleicher Lage befinden sich fast alle größeren Hauptfürsorgeorganisationen. Die wenigen Ausnahmen erklären sich aus besonderen Verhältnissen: Verwendung früherer Stiftungs- und Sammlungsmittel und dergl. oder aus einer durchaus nicht wünschenswerten Beschränkung der Mittel der Fürsorgetätigkeit. Freilich haben die freiwilligen Gaben der Ludendorff-Spende etwa das Dreizehnfache der bisherigen Leistungen des Reiches für die Kriegsbeschädigtenfürsorge erbracht. Aber man muß gewissenhaft an den bei der Einleitung dieser Sammlung verkündeten Grundsatz festhalten, daß die Ergebnisse privater Wohltätigekeit ausschließlich zu einer über die öffentlichen Pflichten unzweifelhaft hinausgehenden Fürsorge verwendet werden dürfen. Zu solchen Verwendungszwecken ist leider nach Lage der Dinge heute kein Mangel.
Für die öffentlichen Pflichten im weitherzigsten Sinne müssen aber öffentliche Mittel, und zwar ganz vornehmlich die des Reiches aufkommen. Die bisherhigen Erfahrungen geben schon einen brauchbaren Anhalt für das Maß der notwendigen Erhöhungen des Reichszuschusses. Und wenn bei einer festen Neuordnung die Verteilung nach der Bevölkerungszahl nicht beibehalten werden soll, so empfiehlt sich die fest Uebernahme eines bestimmten Teiles (mindestens zwei Drittel) der tatsächlichen Aufwendungen auf das Reich. Dann bringen Einzelstaaten und Kommunalverbände immer noch ein sehr erhebliches freiwilliges Opfer für unzweifelhafte Reichspflichten. Die Berücksichtigung leistungsschwächerer Verbände kann in der auch sonst üblichen Weise durch Ausgleichs-Fonds geschehen. Im übrigen ist die Verschiedenheit der örtlichen Verhältnisse und der dadurch bedingten Höhe der Leistungen gerechtfertigt. Gegen etwa befürchtete "Verschwendung" schützt - neben den reichlichen Aufsichtsbefugnissen - die eigene Beteiligung der engeren Verbände. Diese aber wissen dann endlich, wie sie finanziell gegenüber dem Reiche daran sind.
Neue Bundesratsverordnungen
In den nächsten Tagen sind neue Bundesrats-Verordnungen über folgende Gegenstände zu erwarten:
1. Erwerbslosen-Unterstützung,
2. Arbeitsnachweis,
3. Erhöhung der Verdienstgrenze in der Krankenversicherung,
4. Schaffung von Wohnungsverbänden der Gemeinden,
5. Wirtschaftliche Demobilmachung
Sozialdemokratische Einigungsbestrebungen
Drahtmeldung der "Vossischen Zeitung", München 5. November
In München fand eine Versammlung sämtlicher Vertrauensmänner der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften in Gegenwart von vielen tausenden Mitgliedern zwecks Einigung zwischen den Mehrheitssozialisten und den Unabhängigen statt. Es wurde einstimmig eine Entschließung gefaßt, in der es heißt: "Wenn durch die Uneinigkeit der Arbeiterschaft die Reaktion Sieger bleibt, ist der Arbeiterbewegung auf lange Zeit hinaus unermeßlicher Schaden zugeführt. Von dieser Erkenntnis ausgehend, appellieren die Obleute an die Leitung der beiden Parteien, den Bruderkrieg einzustellen und die ganze Kraft des Proletariats zum Kampf gegen den gemeinsamen Feind Kapitalismus und Reaktion, zu vereinigen. Es ist zwar ungeheuer schwer, die streitenden Brüder zu einigen, aber die Obleute versprechen sich doch einen Erfolg, wenn es gelingt, daß die neuen Aktionen von der Arbeiterschaft gemeinsam unternommen und ausgeführt werden. Um eine Verständigung herbeizuführen, soll eine Kommission, die zu gleichen Teilen aus beiden Parteien zusammegesetzt ist, die notwendigen Schritte unternehmen." Eine Kommission zur Durchführung dieser Entschließung wurde gewählt.
Quelle:
Vossische Zeitung vom 6.11.18 (Morgen)
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1918-11-06/27112366/
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Preu%C3%9F#/media/File:Hugo_Preu%C3%9F.jpg