Jenaer Arbeiter- und Soldatenrat beschließt: "Weniger Arbeit, mehr Lohn; und Händewaschen nicht vergessen!"
Die Jenaische Zeitung berichtet ausführlich über eine öffentliche Sitzung des örtlichen Arbeiter- und Soldatenrates. Der Bericht verdeutlicht die Themenbreite, mit der sich die Räte zu beschäftigen hatten und zeigt den basisdemokratischen Anspruch der Räte. Frauen waren in Jena - dies durchaus eine Ausnahme unter den sonst männlich dominierten Räten - im Arbeiterrat u.a. durch die USPD-Vorsitzende Gertrud Morgner repräsentiert. Eine Aufnahme bürgerlicher Vertreter - insbesondere von Linksliberalen - in den A.- und S.-Rat wurde in Jena jedoch abgelehnt.
Neben der Einführung des 8-Stunden-Tages und einem Aufruf zur Ablieferung aller Waffen in Privatbesitz, befasst sich der Jenaer A.- und S.-Rat mit der Frage des richtigen Umganges mit den Akten der aufgelösten politischen Polizei, der Nutzung von Parkanlagen für Familien mit Kinderwägen, der Eindämmung von Geschlechtskrankheiten und weiteren Themen.
Volltext:
Der Arbeiter Arbeiter- und Soldatenrat hielt am Donnerstag, den 21. November, nachmittags 5 Uhr, im Sitzungszimmer des Gemeinderates eine öffentliche Sitzung ab. Dieselbe war von 28 Mitgliedern besucht. Der Zuhörerraum war dicht gefüllt.
Der Vorsitzende Hauptschriftleiter [Albert] Rudolph [MSPD] eröffnete die Sitzung und gab die aus vier Punkten bestehende Tagesordnung bekannt. Eine Anzahl Schriftstücke sind eingegangen, dieselben gehen an den Geschäftsauschuß weiter. Beschlagnahmungen, die zu militärischen Zwecken erfolgt sind, können nicht aufrecht erhalten werden, sie sind also aufgehoben.
Die Polizeikommission wird in Rücksicht auf die Tatsache, daß immer noch Waffen in bürgerlichen Händen sind, einen Aufruf erlassen, wonach die Ablieferung der Waffen bis zum 26. November auf dem Polizeiamt erfolgen muß. Erlaubnisscheine für Jagdberechtigte bedürfen der Gegenzeichnung des A.- und S.-Rates.
Zu einem Antrag des S.-Rates bemerkt [Joseph] Klose [USPD], daß er den drohenden Ton nicht anerkennen kann. Wir wollen uns Bewegungsfreiheit vorbehalten. Der Hauptträger der Bewegung sind die Arbeiterräte und werden es auch in Zukunft sein. Der Aufruf zur Waffenablieferung wird in der vorgeschlagenen Form gutgeheißen.
Der Vorsitzende teilt mit, daß durch Reichsgesetz vom 31. Dezember ab die achtstündige Arbeitszeit eingeführt werden soll. Die Privatbetriebe sollen diese Arbeitszeit schon am 1. Dezember einführen. Die großen Verbände haben sich schon dazu bereit erklärt. Sie soll auch in den städtischen Betrieben eingeführt werden. Durch Reichsgesetz ist festgelegt, daß die Leute nicht geringer entlohnt werden. Wer einen geringeren Lohn bekommt, soll sich an den Arbeiterrat wenden. Ein Antrag, am 1. Dezember die achtstündige Arbeitszeit einzuführen, wird angenommen.
Ueber einen Antrag, der Polizeikommission, in die Akten der politischen Polizei Einsicht zu nehmen, entwickelt sich eine längere Aussprache. Die Akten sind beschlagnahmt, die politische Polizei hat ihre Tätigkeit eingestellt. Einige Mitglieder verlangen, daß die Akten bald eingesehen werden sollen, denn die Tätigkeit des A.- und S.-Rates sei eine beschränkte. Ein Mitglied hält es für zweckmäßig, daß die Akten, ohne Einsicht davon zu nehmen, vernichtet würden; dann ist die Sache begraben. Stadtrat Hädrich ist nicht gegen die Einsicht, zuzeit solle man aber davon absehen mit Rücksicht auf die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ruhe und Ordnung. Die Aussprache endet mit einem Beschluß, wonach es der Polizeikommission überlassen wird, Einsicht in die Akten zu nehmen.
Der Vorsitzende teilt mit, daß in den Großh[erzoglichen] Wildparks Wege gesperrt sind. Der Prinzessinnengarten, der einzige öffentliche Platz der Nordvorstadt, soll in Zukunft für Kinderpflege und Kinderwagen freigegeben werden.
Der Vorsitzende der Gesundheitskommission erstattet einen Bericht und nimmt Bezug auf Gerüchte, denen entgegengetreten werden muß.
Beunruhigt ist ein Teil der Einwohner Jenas durch den Gedanken, daß durch Einquartierungen [von Soldaten in Wohnhäuser, Anm.] Geschlechtskrankheiten in die Familien geschleppt werden können. Die Freudigkeit, unsere Krieger gastlich aufzunehmen, würde bei weiterer Verbreitung dieser Ansicht schwer beeinflußt werden müssen. Ein Wort der Aufklärung, die in diesem Falle zugleich Beruhigung sein wird, ist deshalb geboten. Die Zahl der Geschlechtskranken im Heere und in der Zivilbevölkerung hat während der langen Kriegszeit zugenommen, es hieße aber maßlos übertreiben, von einer Durchseuchung zu sprechen. Zu beklagen vor allem ist, daß so mehr verheiratete Frauen erkrankt, daß auch Kinder nicht so selten wie früher auf außergeschlechtlichen Wegen in diesen Familien angesteckt sind. Bei der Würdigung der Gefahr, die durch Einquartierung von Soldaten mit offenen Geschlechtskrankheiten erwachsen kann, muß man die Uebertragungsweise dieser Krankheiten bedenken, und da ist vor allem ganz unzweideutig zu betonen, daß die allergrößte Zahl der Ansteckungen auf geschlechtlichem Wege zustande kommt, daß die Zahl der außergeschlechtlichen Erkrankungen dagegen verschwindet. Die Gelegenheiten, die zu einer solchen Uebertragung führen können, sollten bei der Einquartierung sich nicht bieten oder sind leicht zu vermeiden, wenn die einfachsten Regeln der Reinlichkeit beobachtet werden. Uebertragen werden können Geschlechtskrankheiten auf außerehelichem Wege durch Kuß, gemeinsames Schlafen in einem Bett - körperliche Uebertragung oder Uebermittlung durch Bettwäsche -, durch Handtuch, Schwamm, Zahnbürste, durch gemeinsamen gleichzeitigen Gebrauch von Eß- und Trinkgeschirr. Vollständig falsch ist die Annahme, daß ein Eß-, Trinkgerät, Wäsche nach Benutzung eines Kranken nich tmehr zu gebrauchen ist. Wenn dem so wäre, müßten Gastwirtschaften und Hotels beständig ihre Einrichtungen erneuern, oder wäre auch vor dem Kriege eine vollständige Durchseuchung des Volkes eingetreten. Eß-, Trinkgeschir, Wäsche bedürfen nur der üblichen gründlichen Reinigung, um ohne jede Gefahr für andere wieder brauchbar zu sein.
Durch die schon während des Krieges getroffenen Maßnahmen der Militär- und Zivilbevölkerung, die zu fertigen, eingearbeiteten und eingebürgerten großen Organisationen geführt haben, werden die Geschlechtskrankheiten und ihre Folgen bald eingedämmt sein und die Zustände sich schließlich besser als vor dem Kriege gestalten. Der Krieg war auch auf diesem Gebiete ein großer Lehrmeister.
Der Bericht ist für den Gesundheitsausschuß des A.- und S.-Rates von Prof. [der Medizin Bodo] Spiethoff verfaßt.
Hartmann berichtet über die Grundsätze, welche der Ernährungsausschuß zur Bekämpfung des Schleichhandels und der Hamsterei aufgestellt hat. Danach sollen auch die kleinsten Mengen beschlagnahmt werden. Eine öffentliche Bekanntmachung wird erfolgen. Der große Bauernrat hat heute in einer Versammlung, wo 75 Mitglieder zugegen waren, den engeren Bauernrat gewählt. In demselben sind Dr. Huschke aus Lehesten und Tierarzt Peterlein aus Bürgel zu Vorsitzenden gewählt worden. In den Geschäften, Wirtschaften, sowie auch auf der Post soll eine Kontrolle ausgeübt werden. Die Vorschläge des Ernährungsausschusses werden angenommen. Auf Antrag von [Heinrich] Sell [Vors. des Soldatenrates, Anm.] wird beschlossen, daß die Mitglieder des A.- und S.-Rates von Freitag, den 22. November, mittags ab auf Grund des Ausweises freie Fahrt auf der Straßenbahn haben sollen. Die weitere Aussprache beschäftigte sich mit den niedrigen Löhnen, welche den Arbeitern des Elektrizitätswerkes gezahlt werden. Die Direktion hat als Grund die Unrentabilität angeführt. Der A.- und S.-Rat war der Meinung, daß den Arbeitern ein Minimum garantiert werden soll.
Der Vollzugsausschuß soll in Zukunft die Vollsitzungen anberaumen. Morgen findet eine gemeinschaftliche Tagung sämtlicher Kommissionen statt. Die Sitzung gegen 3/4 7 Uhr geschlossen.
Quelle:
Jenaische Zeitung vom 23.11.1918
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00246813/JZ_Jenaische_Zeitung_169419428_1918_1455.tif
Bild:
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