Kreuzzeitung über die Gründung der DNVP: "Eine starke Rechte formiert sich"
Auch in den rechten Teil des Parteienspektrum kam durch die Novemberrevolution einige Bewegung. Anlässlich der baldigen Wahlen zur Nationalversammlung war eine schnelle Reorganisation notwendig geworden. Erschwert wurde eine solche jedoch durch die Parteistrukturen der konservativen Parteien, welche aufgrund des dortigen Modells einer Honoratiorenpolitik relativ schwach ausgeprägt waren. Es wurden viele ihrem Selbstverständnis nach unabhängige Persönlichkeiten in die Entscheidungsfindung eingebunden und dementsprechend schwerfällig war diese.
Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) versuchte sich - durchaus erfolgreich - an der Bildung einer "starken Rechten" zur Wiederherstellung von "Recht und Ordnung", welche bis zum Aufstieg der NSDAP Ende der 1920er die wichtigste rechte Flügelpartei im Parlament sein sollte. Im Herbst 1918 konnte die DNVP mit der Angst vor einem "Umsturz aller Dinge" einen Großteil der rechten Altparteien einfangen. Der Zusatz "Volkspartei" war als vermeintliche Anbiederung an die Demokratie durchaus umstritten.
Volltext:
Gründung einer deutschnationalen Volkspartei.
Im Inseratenteil unseres Blattes veröffentlichen wir einen Aufruf einer neuen Partei. Sie trägt den Namen "Deutschnationale Volkspartei". Der geschäftsführende Ausschuß der Deutschkonservativen Partei nimmt in nachstehender Kundgebung zu der neuen Parteigründung Stellung:
Kundgebung des konservativen Parteivorstandes.
Ueber die schweren Lasten des Tages hinaus muß für die Zukunft vorgesorgt werden. Seit längerer Zeit hatte die konservative Parteileitung im Einvernehmen mit den Fraktionen des Reichstages, Herrenhauses und Abgeordnetenhauses [die zwei Kammern des preußischen Landtags, Anm.] die Pflicht der konservativen Partei erkannt, sich mit neuem Geiste zu erfüllen, um den Aufgaben der neuen Zeit gerecht zu werden, die durch Krieg und die mit ihm verbundenen Wandlungen unserer politischen Verhältnisse entstanden sind. Als der Engere Vorstand der deutsch-konservativen Partei am 7. November d.J. eine Neubearbeitung des Parteiprogramms in Aussicht stellte, war zu diesem Zweck bereits wertvolle Vorarbeit in den Fraktionen geleistet worden. Dabei hatte man Bedacht genommen, daß das Programm den Zutritt verwandter Richtungen erleichtern und weitere Volkskreise als bisher umfassen sollte. Auch in den neuentstandenen Verhältnissen müssen diejenigen Aufgaben gelöst werden, zu deren Erfüllung in jedem geordneten Staatswesen eine starke Rechte unentbehrlich ist. Revolution und Waffenstillstand haben die Fortsetzung dieser Arbeit auf dem satzungsmäßigen Wege vorerst wesentlich erschwert. Die Zukunft aller äußeren und inneren politischen Verhältnisse des Deutschen Reiches ist zurzeit derartig unsicher, daß ein endgültiges Parteiprogramm kaum festgesetzt werden kann. Andererseits sind sofortige Maßnahmen zur Klärung der Parteiverhältnisse unerläßlich geworden, zumal da die Wahlen zur Nationalversammlung, in der über Deutschlands Zukunft entschieden werden soll, möglicherweise sehr nahe bevorstehen.
Diesen Bestrebungen der Partei kommt der heute veröffentlichte Aufruf entgegen, in dem Männer und Frauen verschiedener Parteirichtungen und Berufsstände den Zusammenschluß zu einer deutschen nationalen Volkspartei auf der Grundlage vorläufiger, als Anhaltspunkte gegebener Richtlinien vorschlagen. Wir haben sofort die nötigen Schritte eingeleitet, um, soweit es die Verhältnisse gestatten, die Beschlüsse der geordneten Parteivertretungen über die Stellungnahme der konservativen Partei zu diesem Vorschlag herbeizuführen und unseren Freunden im Lande die Gelegenheit zur Mitarbeit dabei zu eröffnen.
Der geschäftsführende Ausschuß der deutschkonservativen Partei.
In Vertretung
[Karl] Stackmann [Kuno] Graf Westarp
[...]
[Aufruf zur Gründung der DNVP]
Unser Vaterland blutet nach vierjährigem Kriege aus schweren Wunden; es steht vor der Gefahr der Auflösung. An Stelle von Recht und Ordnung droht der Umsturz aller Dinge.
Vieles ist zertrümmert, was uns heilig und teuer ist. Und doch dürfen wir dem Verlorenen nicht untätig nachtrauern. Es ist Pflicht eines jeden, an dem Wiederaufbau des deutschen Staates und Volkes mitzuarbeiten und dem neuen Deutschland neue Form und neuen lebensvollen Inhalt zu geben.
Über unsere Zukunft wird in der Nationalversammlung entschieden werden. Sie ist alsbald einzuberufen; für die Wahl ist die volle Freiheit zu gewähren. Wir sind bereit und entschlossen, auf dem Boden jeder Staatsform mitzuarbeiten in der Recht und Ordnung herrschen. Gegen jede Diktatur einer einzelnen Bevölkerungsklasse verwahren wir uns. Nur ein geordnetes Staatswesen schafft uns Brot und Frieden.
Staat und Gesetz, ausgerüstet mit starker Autorität, getragen von dem freien Willen des Volkes, müssen ihren schützenden Einfluß im Volks- und Wirtschaftsleben geltend machen, um die nationale Kultur und die soziale Wohlfahrt zu fördern.
Im Mittelpunkt von Leben und Wirtschaft muß mehr als bisher der Mensch als sittliche Persönlichkeit stehen. Ein lebensvolles Christentum, Ehe und Familie sollen die starken Träger des öffentlichen Lebens sein. Deutsches Wesen und deutsche Art müssen mehr denn je unser ganzes Volkstum erfüllen.
Zur Durchführung dieser Grundsätze bei der Gestaltung des neuen Deutschlands erstreben wir Unterzeichneten den Zusammenschluß aller gleichgesinnten deutschen Männer und Frauen sowie aller gleichgesinnten Parteien und Parteirichtungen zu einer neuen Partei, für die wir den Namen Deutschnationale Volkspartei vorschlagen.
Um die Wunde zu heilen, die der Krieg unserem schwergeprüften Vaterlande geschlagen hat, und um Recht und Ordnung wiederherzustellen, sind wir bereit, mit allen Parteien zusammenzuarbeiten, die dasselbe Ziel erstreben. So muß es gelingen, unser Volk aus dem Jammer dieser Tage herauszuführen und kommenden Geschlechtern eine bessere Zukunft zu sichern. [...]
Quelle:
Kreuz-Zeitung Nr. 599 vom 24.11.1918 (Morgen)
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Oskar_Hergt#/media/File:Bundesarchiv_Bild_102-06067,_Oskar_Hergt_und_Georg_Freiherr_von_Rheinbaben.jpg