Spartakusbund: "Republik, das ist nicht viel"
Die Freiheit berichtet über eine Versammlungsreihe des Spartakusbundes in Berlin mit Liebknecht, Levi und Luxemburg. In Resolutionen wurde der Kampf gegen die Bourgeoisie und die Einberufung der Nationalversammlung beschworen. Allein den A.- und S.-Räten gebühre das Recht der Vertretung der proletarischen Klasseninteressen. Doch seien die Räte zuvor von allen MSPD-Vertretern zu säubern, den nur so könne dem "Klassenverrat" Einhalt geboten und eine wirkliche Revolution eingeleitet werden.
Mit solchen Versammlungen versuchte der Spartakusbund die USPD auf die eigene Linie einzuschwören und einen Bruch der rot-roten Regierungskoalition zu bewirken, was wenige Wochen später gelang. In direkter Folge der Liebknecht-Versammlung war eine Gruppe seiner Anhänger in der Nacht zum 22. Nov. zum Berliner Polizeipräsidium aufgebrochen, um dort vermeintlich Festgehaltene zu befreien. Ein Schritt, der sich faktisch zu gleichen Teilen gegen den Stadtkommandanten Otto Wels (MSPD) wie den Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD) richtete. Der folgende Zusammenstoß der Liebknecht-Anhänger mit Sicherheitskräften war ein erster Schritt auf einer bald sehr folgenreichen Eskalationsleiter.
Volltext:
Versammlungen des Spartakusbundes [in Groß-Berlin]
fanden am Donnerstag abend in den Pharussälen in der Müllerstraße, im Café Bellevue in Lichtenberg und in Neukölln in den Passagefestsälen statt. In allen Versammlungen gelangte folgende Resolution zur Annahme:
"Die Versammlung betrachtet es als Lebensinteresse der Arbeiterklasse, die Revolution über die bisherigen kümmerlichen Ergebnisse vorwärts zu treiben und alle gegenrevolutionären Machenschaften, die ihr auf Schritt und Tritt begegnen, rücksichtslos zu bekämpfen. Die politische Aufgabe der gegenwärtigen Revolution ist die Ausrottung der kapitalistischen Klassenherrschaft und die Verwirklichung des sozialen Endziels. Diese Aufgabe ist nur zu erfüllen, wenn die gesamte politische Macht in den Händen des A.- u. S.-Rates liegt. Die Einberufung der Nationalversammlung ist lediglich ein Mittel, von diesem Ziele abzulenken, die Macht er Arbeiterklasse zu schwächen und ihr Klassenbewußtsein zu verwirren. Nicht durch parlamentarisches Geschwätz gegen die Bourgeoisie, sondern allein durch Macht, Kampf gegen die Bourgeoisie kann die Befreiung der Arbeiterklasse errungen werden."
In den Pharussälen war der Andrang so stark, daß eine zweite Versammlung in der Bockbrauerei abgehalten werden mußte. Carl Liebknecht [USPD] begründete mit Temperament und Feuer die Resolution. Er rief den Versammelten zu: Laßt euch nicht einschüchtern durch die Rufe: Einigkeit, Ruhe! Wer ein klassenbewußter Proletarier sei, der dürfte keine keine Ruhe geben, für den gebe es nur Kampf, rücksichtslosen Kampf gegen den Kapitalismus. Liebknecht schloß mit dem begeistert aufgenommenen Rufe: Es lebe die internationale Weltrevolution.
Diskussionsredner gaben ihrer Entrüstung gegen [Otto] Wels [MSPD] Ausdruck und forderten die Versammlung auf, nach dem Polizeipräsidium zu ziehen und die von Wels eingesperrten Genossen zu befreien. Die obenstehende Resolution wurde einstimmig angenommen, auch eine zweite Resolution, in der die Absetzung des Stadtkommandanten Welt verlangt wird. Mit Hochrufen auf Carl Liebknecht schloß die Versammlung.
In überfülltem Saale des Café Bellevue in Rummelsburg sprach Genosse [Paul] Levi [USPD] für den Spartakusbund. Seine temperamentvollen Ausführungen kennzeichneten das Maß des Erreichen und die Fülle der Probleme, die noch der Lösung harren, wenn das Ziel nicht bürgerliche, sondern sozialistische Demokratie lauten soll. Wohl ist eine verbrecherische Regierung gestürzt und ihr Repräsentant davongejagt, aber noch immer haben die Hüter der Kassenschränke die ökonomische Macht in den Händen und verhindern die wirkliche Befreiung. Die neue Regierung macht viel zu viel Konzessionen an das, was gewesen sein muß. Die Heiligkeit des Privateigentums, die Wiedereinsetzung und Belassung der Polizeipräsidenten und Landräte an den Brutstellen der Reaktion, die Unantastbarkeit der berüchtigten Blutgerichte. Die Revolution aber muß hinauswachsen über sich selbst und die Befreiung des Proletariats vom Joch des Kapitalismus bringen. Wenn jetzt in den Soldatenräten die Meinung herrscht, daß das Erreichte genügt, so wird sich das als ein Aberglaube herausstellen, wenn die Soldaten wieder als Proletarier neben Proletariern sein werden und wenn die proletarische Not an sie herantritt. Deshalb ist es unfreudig, daß die Soldatenräte von allen nicht proletarischen Elementen befreit werden, die jetzt drauf und dran sind, die Revolution in eine falsche Bahn zu drängen. Deshalb sind die Arbeiterräte von jenen Gewerkschaftsbeamten, Parteisekretären und Führern zu säubern, die das Durchhalten gepredigt haben [gemeint sind die MSPD-Politiker, Anm.] und die jetzt daran sind, die Revolution an die Kapitalisten zu verraten. Im Schlußwort führte Dr. Levi aus, daß der Spartakusbund im Verein mit der USPD das Endziel des Sozialismus gemeinsam arbeiten werden, wenn diese sofort einen Parteitag einberufe und sich dann die Uebereinstimmung über die Taktik ergebe.
In Neukölln sprach vor überfültem Saal Genossin [Rosa] Luxemburg [USPD].
Sie warnte vor der vorschnellen Freude über das Erreichte, der schwerste Kampf wäre noch zu schlagen. Kein Vertrauen zur jetzigen Regierung, sondern Mißtrauen. Der größte Fehler sei gewesen, daß man alle Beamten in ihren Aemtern gelassen habe. Dann sprach sie sich besonders gegen die Einberufung der Nationalversammlung aus.
Als ein Genosse den Spartakusleuten Inkonsequenz vorwarf, weil sie noch in der Partei der Unabhängigen seien und sich nicht mit an der Begründung einer kommunistischen Partei beteiligten, wies die Referentin darauf hin, daß sie nur in der Unabhängigen Partei bleiben, um die Mehrheit der Partei zu dem Spartakusstandpunkt zu bekehren, was ihnen bald gelingen würde.
Quelle:
Die Freiheit Nr. 14/ Jg. 1 vom 22.11.1918 (Abend)
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Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Levi#/media/File:Paul_Levi_-_Schwadron.jpg