Verluste verstaatlichen?: Eine Sozialisierungskommission wird gebildet
Der Rat der Volksbeauftragten macht sich daran die angekündigte Sozialisierung von Schlüsselbetrieben umzusetzen und ernennt zu diesem Zweck eine vorbereitende Kommission. Diese ist namhaft besetzt u.a. mit Walther Rathenau, Karl Kautsky, Rudolf Hilferding und Otto Hué. Ansonsten halten sich die Parteiorgane von MSPD und USPD jedoch bedeckt.
Die Berliner Börsen-Zeitung hingegen reagiert in ihren Handelsnachrichten ausführlich auf die Meldung und sieht die "Erdrosselung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung" beginnen. Die Sozialisierungen seien mit das einzige worauf sich die zerstrittenen Regierungsparteien einigen könnten, so das Blatt. "Kapitalistenkreise" müssten sich zudem um die Entwicklung auf einem anderen Milliardenmarkt sorgen: dem Markt für Kriegsanleihen.
Volltext 1:
Die Vorbereitung der Sozialisierung
Die Kommission, welche die Volksbeauftragten zur Erstattung eines schleunigen Gutachtens darüber eingesetzt haben, welche Betriebe sofort vergesellschaft werden sollen, wird aus Professor Ballob, Professor Ernst Francke, Walter Rathenau, Privatdozent Dr. Lederer, Dr. Vogelstein, Dr. Rudolf Hilferding, Karl Kautsky, Heinrich Cunow und Otto Hué bestehen. Es ist möglich, daß noch weitere Mitglieder hinzugezogen werden.
Volltext 2:
Handelsnachrichten
- Die Notierung der Rentenkurse
Wir hatten bereits am letzten Montag mitgeteilt, dass das Verbot der Veröffentlichung der Börsenkurse noch in dieser Woche aufgehoben werden wird. Diese Mitteilung ist durch die amtliche Auslassung in der gestrigen Morgenzeitung [der BBZ, Anm.] bestätigt worden. Es ist aer gleichtzeitig bemerkt worden, dass die Rentenkurse hierbei ausgenommen sind. Zur Begründung dieser Massnahme, die in Kapitalistenkreisen ohne Zweifel recht unangenehm empfunden werden wird, wird offiziell noch folgendes bemerkt:
In Börsenkreisen ist in der letzten Zeit verstärkt das Verlangen hervorgetreten, auch die Kurse der festverzinslichen Werte wieder amtlich festzustellen und auch für diese Kurse dann die öffentliche Bekanntmachung zuzulassen. In dem Kursstande dieser Wertpapiere läge an sich kein Grund, diesem Verlangen nicht stattzugeben. [...] Eine amtliche Preisnotierung der übrigen festverzinslichen Werte ist aber nicht möglich, ohne gleichzeitig auch die Kriegsanleihen amtlich zu notieren, und letzteres erscheint nicht angängig, solange nicht die von massgebender Stelle wiederholt für die Zeit nach Friedensschluss angekündigten Massnahmen durchgeführt sind, die den Markt der Kriegsanleihen in gleichmässige, sichere Bahnen lenken sollen. Diese Massnahmen können jetzt noch nicht ins Werk gesetzt werden, und es muss deshalb für die Kriegsanleihen einstweilen noch bei dem Zustand verbleiben, der sich im allgemeinen bewährt und in den Fällen, in denen wirklich berechtigte Interessen für den Verkauf der Kriegsanleihen vorlagen, diesen Interessen auch genügt hat. Sobald irgend möglich, wird auch der Markt der Kriegsanleihen freigegeben werden, und es steht dann der Veröffentlichung der festverzinslichen Wertpapiere voraussichtlich nichts mehr im Wege.
- Die Vergesellschaftung der Betriebe
In Industrie- und Kapitalistenkreisen hat die Tatsache, dass die sozialistische Regierung auf ihr Programm die "Vergesellschaftung der Produktionsmittel" gesetzt hat, bereits eine schwere Beunruhigung hervorgerufen. Man hat indessen bisher ernsthaft daran gezweifelt, dass die Regierung unter der zurzeit bestehenden wirtschaftlichen Zerrüttung an das gewagte Experiment der Sozialisierung der Betriebe und der Erdrosselung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sich heranwagen würde. Wir hatten jedoch bereits vor mehreren Tagen darauf aufmerksam gemacht, dass die Verstaatlichungspläne hinsichtlich der Bergwerke im Zusammenhang mit der Aufnahme einer grossen Anleihe in Amerika schon bestimmte Gestalt angenommen haben. Nach den Aeusserungen, die in der vorgestrigen grossen Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte hinsichtlich der Sozialisierung der Volkswirtschaft gefallen sind, konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die jetzige Regierung zu dieser unabsehbare Folgen für unser Wirtschaftsleben zeitigenden Massnahme schreiten werde, und dass gerade die Vernichtung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ein Kompromiss in den ersten Differenzen zwischen rechten und linken sozialistischen Parteien darstellt. Es ist jetzt von den Volksbeauftragten bereits eine Kommission eingesetzt worden, zur Erstattung eines schleunigen Gutachtens darüber, welche Betriebe sofort vergesellschaftet werden sollen. [...]
Quelle 1:
Die Freiheit Nr. 12 / Jg. 1 vom 21.11.1918 (Abend)
Quelle 2:
BBZ vom 21.11.1918 (Morgen)
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Kautsky#/media/File:Karl_Kautsky_01.jpg