Koschminer Anzeiger trommelt für den Krieg: "Der deutsche Löwe ist nur verwundet"
Die Koschminer Zeitung aus dem Posener Land berichtet über den Kriegsverlauf und die vermeintliche Unüberwindlichkeit der deutschen Truppen. Wo sie sich dennoch zurückziehen müsse, werde die Bevölkerung "auf bestialischste Weise umgebracht". Diese Blüten der Kriegspropaganda werden abgerundet mit einem Aufruf zur Zeichnung von Kriegsanleihen.
Volltext:
Herresgruppe Kronprinz Rupprecht: Auf dem Kampffeld nahmen wir unsere Front in die Linie östlich von Torkout-Koolskamp-Ingelmünster, im Anschluss hieran hinter die Lys zurück; nach stärkstem Feuer auf das geräumte Gelände fühlte der Feind an unsere neuen Stellungen heran. Beiderseits von Koolskamp griff er sie mit starken Kräften bei Torhout und Ingelmünster in Teilvorstößen an. Auch gegen die Lysfront [...] führte er heftige Angriffe. Der Feind wurde überall abgewiesen. Gegen unsere neue Front zwischen Lille und Douai ist Feind gestern bis in die Linie Capinghem-Allenesles-Marais-Carvin-Oignies gefolgt. Am Selle-Abschnitt drang der Gegner bei Haussy in unsere Linien ein. Radfahrer-Bataillone warfen den Feind im Gegenangriff zurück und nahmen die alte Stellung wieder. Die Beschießung der Stadt Denain durch englische Artillerie hält an und hat weitere Opfer unter den französischen Einwohnern und Flüchtlingen gefordert.
[...]
Staatssekretär des Reichsschatzamtes Graf Roedern über die Kriegsanleihe:
Ob Krieg, ob Frieden, die Zeichnung der Kriegsanleihe bleibt in jedem Falle das wichtigste Gebot der Stunde.
Der zähe deutsche Widerstand. Der englische Kriegsberichterstatter Gibbs schreibt: "Das hauptsächlichste Kennzeichen der heutigen Kämpfe ist die Kraft, mit der der Feind seine Frontlinie verteidigt. Als er unseren Angriff sich nähern sah, wurden Verstärkungen vorgeschickt. Die Truppen hatten den Auftrag, sich bis zum Untergang zu verteidigen. Die Deutschen zeigten große Unerschrockenheit. Die erste bayerische Reservedivision kämpft zwischen Ebeghem und Kazelberg mit großem Mut."
Der "Löwe ist nur verwundet". Die Auffassung der Neutralen von der Kriegslage spiegelt sich am besten wieder in einem Aufsatz des radikalen "Ekstrabladet" (Kopenhagen): "Noch kann man nicht erkennen, welche Wendung der Krieg nehmen wird. Deutschland ist ein verwundeter Löwe, der nicht stirbt, ohne schrecklich um sich zu beißen. Wenn das Glück und die Siege des Feindes in einem Uebermut zum Ausdruck kommen sollten, der den Frieden mit Deutschland zu einer Unmöglichkeit macht, so wird dies die Einleitung zu einem Kampf bilden, wie ihn die Welt nie gesehen hat."
Greueltaten nach dem Abmarsch der Deutschen. Vor einigen Tagen traf eine Deputation des Kreises Disna in Wilna ein mit einem Gesuch der dortigen Bevölkerung, unterzeichnet von einer großen Anzahl Leute aller Nationalitäten, Deutschen, Juden, Polen, Weißruthenen und einer Erklärung, daß die von ihr vertretene Bevölkerung auf keinen Fall an Rußland zurückfallen will. Sie stellen sich unter den deutschen Schutz und erklären: Deutschland kann über sie verfügen wie es will. Der Grund hierfür sind die entsetzlichen Vorgänge im Lepelschen Kreise, die sich nach Abmarsch der deutschen Etappenkommandanturen abspielten. Fast die ganze ländliche Intelligenz ist ermordet worden! So wurde eine Familie Wolodkowicz, bestehend aus Eltern und Kindern, auf das bestialischste umgebracht, ihre Köpfe abgeschnitten und im Speisesaal ihres Hauses auf dem Eßtisch auf Tellern aufgestellt. Aehnlich ist es vielen anderen ergangen. Jedes Stück Land, das Deutschland weiterhin evakuiert, würde derselben maßlosen Verwüstung ausgeliefert sein.
Quelle:
Koschminer Zeitung Nr. 84 / Jg. 31 vom 19.10.18, S. 2
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1918-10-19/27260112/
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Siegfried_von_Roedern#/media/File:Bundesarchiv_Bild_146-2003-0016R,_Siegfried_Graf_von_Roedern.jpg