Tödlicher als der Krieg - Die Spanische Grippe
Die vom Krieg geschwächten Menschen werden seit 1918 massenhaft von der Spanischen Grippe dahingerafft. Mit schätzungsweisen 25-50 Millionen Toten weltweit war dies die schlimmste Pandemie seit der Schwarzen Pest im Mittelalter. Besonders Kleinkinder und junge Menschen erkranken tödlich. Die Berliner Volkszeitung (BVZ) gibt Verhaltensmaßregeln und scheinbar selbstverständliche Hygienehinweise.
Volltext:
Mit der Ausbreitung der Grippe und ihrer Bekämpfung hat sich auf Veranlassung des Reichsamts des Innern der Reichsgesundheitsrat in einer am 16. Oktober abgehaltenen Sitzung befaßt. Es hat sich hierbei folgendes ergeben:
Nachdem die Grippe nach ihrem Auftreten im Juni und Juli d. J. wesentlich zurückgegangen war, hat sie im Laufe des Oktobers wieder stark zugenommen. Die Zunahme erstreckt sich auf das ganze Reichsgebiet. Die Krankheit ist diesmal mit schwereren Erscheinungen verbunden als vordem. Besonders bei jüngeren Personen verläuft die Krankheit ziemlich heftig; treten Komplikationen, namentlich Lungenentzündung hinzu, so endet sie nicht selten tödlich. Aber auch bei der bekannten Influenzaepidemie des Winters 1889/90 sind bösartige Fälle nicht selten gezählt worden; es wurde damals die Zahl der Todesfälle auf [0,5-1%] der Erkrankten geschätzt. Das Gerücht, daß es sich bei den neuerdings eingetretenen raschen Todesfällen um Lungenpest handele, ist hinfällig. Bakteriologische Untersuchungen, die in zahlreichen Fällen vorgenommen worden sind, haben mit Sicherheit ergeben, daß jene Annahme unbegründet ist. Uebrigens ist das gehäufte Auftreten der Grippe nicht nur in Deutschland wahrzunehmen, sondern wird aus fast allen europäischen Staaten, ja selbst aus Süd-Afrika berichtet.
Da die Krankheit äußerst leicht übertragbar ist, sich rasch entwickelt und der Krankheitserreger zurzeit weit verbreitet ist, stoßen vorbeugende Maßnahmen allgemeiner Art auf erhebliche Schwierigkeiten. DIe von der Oeffentlichkeit dringend geforderte Schließung der Schulen rechtfertigt sich zweifellos da, wo unter Schülern und Lehrern die Krankheit herrscht oder wo nach Lage der Verhältnisse durch die Schüler zu befürchten ist. Nur nach Prüfung der örtlichen Bedingungen wird jedoch von Fall zu Fall sich entscheiden lassen, ob es angebracht ist, die Schule zu schließen. Ohne hinreichenden Grund sollte diese Maßregel jedenfalls nicht getroffen werden. Aus Familien, bei denen die Grippe herrscht, sollten Kinder nicht in die Schule geschickt werden.
Der einzelne Mensch wird sich, da der Krankheitsstoff vermutlich durch den Mund oder die Nase Eingang in den Körper findet, zweckmäßig dadurch gegen die Krankheit zu schützen suchen, daß er sorgfältig auf Reinlichkeit bedacht ist, insbesondere vor dem Essen sowie vor der Zubereitung der Speisen sich regelmäßig die Hände wäscht. Nach dem Ratschlag von erfahrenen Aerzten empfiehlt es sich ferner, täglich mehrmals zu gurgeln, z.B. mit warmen Wasser, dem etwas Kochsalz zugesetzt ist (eine Messer- oder Teelöffelspitze auf ein Glas Wasser). Bei älteren Leuten, bei Herzschwachen und bei Lungenleidenden nimmt die Krankheit erfahrungsgemäß nicht selten einen schweren Verlauf. Sie sollten es deshalb, wie übrigens auch jedermann, dem seine Lebensweise und sein Beruf es gestatten, den Massenverkehr meiden, sich von Gelegenheiten fernhalten, wo sie mit vielen Menschen in nahe körperliche Berührung kommen oder von anderen angehustet werden können. Tritt trotz aller Vorsicht eine Erkrankung ein, so soll man nicht die Krankheit hinschleppen, indem man der gewohnten Tätigkeit nachgeht. [...]
Die Kronprinzession und die beiden jüngsten Prinzen sind an der Grippe erkrankt.
Quelle:
BVZ Nr. 535 / Jg. 66 vom 20.10.18 (Morgen)
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1918-10-20/27971740/
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Spanische_Grippe#/media/File:Spanish_flu_hospital.png