Vossische Zeitung: Der Krieg als US-Wahlkampf-Thema
Die liberale Vossische Zeitung berichtet ausführlicher über die Wahlkampfmanöver von Demokraten und Republikanern vor den anstehenden Kongresswahlen. Der Krieg werde zum wichtigsten Streitpunkt zwischen Woodrow Wilson (Demokraten) und Theodore Roosevelt (Republikaner). Die Wahlen gewannen die Republikaner, doch verstarb Roosevelt bereits wenige Wochen später.
"Daily News" meldet am Sonntag aus New York, daß Wilson ein Manifest veröffentlicht habe, worin er [die USA] auffordert, am 5. November einen demokratischen Kongreß zu wählen. Dadurch werde die Einheit in der Leitung der Staatsgeschäfte ermöglicht werden. Der Präsident erklärt, er zweifle nicht an der Vaterlandsliebe der Republikaner, fügt aber hinzu, daß die demokratischen Führer des heutigen Kongresses zweifellos für den Krieg gewesen sin, während die Führer der Minderheit es bei fast jeder Gelegenheit versucht haben, die Wahl der zu verfolgenden Politik und die Kriegsleitung aus seinen Händen zu nehmen und sie unter eigene, d.h. republikanische Kontrolle zu bringen. Der Präsident betont dann noch, daß ein republikanischer Kongreß die Führung der Gesetzgebung an sich reißen und zur Obstruktion zwingen könnte, und daß man in Europa glauben würde, das Volk räche sich an Wilson wegen seiner bisherigen Leitung der Geschäfte.
Die Republikaner haben daraufhin ihrerseits ein Manifest erlassen, aus dem die Gereiztheit ihrer Stimmung deutlich hervorgeht. Sie behaupten, daß sie im Verhältnis mehr für Kriegsmaßregeln getan haben als die Demokraten. Roosevelt verwirft das Wilsonsche Manifest als "jämmerlich". Blätter, wie "World" und "Evening Post", die den Präsidenten stets unterstützten, geben zu, daß der Schritt des Präsidenten ein sehr ernster war. Der Präsident habe in beiden Häusern des Kongresses nur eine kleine Mehrheit und es bestehe eine wirkliche Gefahr, daß die Republikaner die Oberhand gewinnen. Die "New York Times" schreibt die Notwendigkeit des Manifestes des Präsidenten den Treibereien Roosevelts und [Henry Cabot] Logdes zu. Unzweifelhaft sei das Manifest ein Kampfruf für beide Lager.
Der "Daily Telegraph" meldet über die amerikanische Stimmung, es scheine kein Zweifel darüber zu bestehen, daß sich die Kongresswahlen im November zu einem Kampf zwischen den Anhängern Wilsons und Roosevelts gestalten werden, wobei die Aussichten zurzeit gleich stehen. Gegen Roosevelt spreche aber der hohe Anschein, den Wilson durch seine Kriegsleistung im ganzen Lande erobert habe.
Quelle:
Vossische Zeitung, Nr. 553 (29.10.1918) A
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1918-10-29/27112366/
Bild 1:
https://de.wikipedia.org/wiki/Theodore_Roosevelt#/media/File:President_Theodore_Roosevelt,_1904.jpg
Bild 2:
https://de.wikipedia.org/wiki/Woodrow_Wilson#/media/File:Thomas_Woodrow_Wilson,_Harris_%26_Ewing_bw_photo_portrait,_1919.jpg