Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

DE | EN

Ein Ermächtigungsgesetz? Hintergründe zum neuen Infektionsschutzgesetz

„Die Reichsregierung wird ermächtigt, die Maßnahmen zu treffen, die sie im Hinblick auf die Not von Volk und Reich für erforderlich und dringend erachtet.“ So lautet der erste Satz des Ermächtigungsgesetzes. Allerdings nicht des „Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich“ von 1933, sondern von einem Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1923. Der Reichstag hatte es mit Zweidrittelmehrheit beschlossen und Reichspräsident Friedrich Ebert hatte es unterzeichnet, damit die Reichsregierung auf dem Verordnungsweg Maßnahmen einleiten kann, um die Hyperinflation und deren Folgen zu bekämpfen. Die Geltung des Gesetzes war auf etwa zwei Monate beschränkt, und alle auf dessen Basis erlassene Verordnungen mussten dem Reichstag vorgelegt werden und konnten von ihm annulliert werden. Der Begriff der „Ermächtigung“ war damals und ist heute ein ganz normaler Rechtsbegriff: jemand „ermächtigt“ jemand anderen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen und überträgt die dafür notwendige Befugnis auf ihn; 2020 vom Bundestag auf die Bundesregierung – zeitlich eng befristet und jederzeit widerrufbar.

Ganz anders das „Ermächtigungsgesetz“ von 1933: Es gab der Reichsregierung unter dem Kanzler Adolf Hitler die Befugnis, Gesetze zu erlassen und vom Kanzler selbst ausfertigen zu lassen. Damit war die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive aufgehoben. Diese Gesetze durften sogar von der Reichsverfassung abweichen, womit der endgültigen Zerstörung der Demokratie der Weg bereitet war. Formell „befristet“ war das Gesetz bis zum 1. April 1937, also für die gesamte Legislaturperiode des eben gewählten Reichstages. Obwohl es im März 1933 keine freie Wahl mehr gab, hatte die NSDAP die absolute Mehrheit verpasst und sich diese erst durch den verfassungswidrigen Ausschluss der KPD-Abgeordneten gesichert. Die verfassungsändernde Mehrheit erreichte die NSDAP nur mit erheblichem Druck und Einschüchterung der Abgeordneten. Nur die SPD-Fraktion stimmte geschlossen dagegen, woran Carsten Schneider gestern auch noch einmal im Plenum des Bundestages erinnerte. Eine Verbindung gibt es übrigens doch zwischen damals und heute: 1933 hatte die NS-Regierung den Tagungsort mit SA-Schlägern umstellen lassen, um den Abgeordneten eine Idee davon zu geben, was passieren könnte, wenn sie „falsch“ abstimmen. Und 2020 hat es eine Bundestagspartei anscheinend für richtig befunden, allerlei Wutbürger auf die Abgeordneten loszulassen.

Die verabschiedete Novelle des Infektionsschutzgesetzes steht voll und ganz in der Tradition der Gepflogenheiten der parlamentarischen Demokratie, ja stellt es die bislang getroffenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung auf einen sichereren rechtlichen Boden und unter stärkere Kontrolle des Parlaments. Die parlamentarische Demokratie zeigt sich damit auch in Krisenzeiten als handlungsfähig und stellt alle Grundrechtseinschränkungen unter Parlamentsvorbehalt. Wer dies auf eine Stufe mit der „Ermächtigung“ von 1933 stellt – sei es direkt oder indirekt – handelt entweder in völliger Unkenntnis der Geschichte oder instrumentalisiert sie für seine Aufwiegelung gegen die parlamentarische Demokratie.

Glossar anzeigen
Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
[AB]August Baudert: Sachsen-Weimars Ende. Historische Tatsachen aus sturmbewegter Zeit, Weimar 1923.
[AS]Axel Schildt: Die Republik von Weimar. Deutschland zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ (1918-1933), hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2009.
[BauerBauer, Kurt, Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, u.a. Wien 2008.
[BihlBihl, Wolfdieter, Der Erste Weltkrieg 1914 - 1918. Chronik - Daten - Fakten, Wien 2010.
[BüttnerBüttner, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Stuttgart 2008.
[DNV]Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919 in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates, hrsg. v. Ed.[uard] Heilfron, Bd. 1 bis 6, Berlin [1919].
[Ebert/Wienecke-JanzEbert, Johannes/Wienecke-Janz, Detlef, Die Chronik. Geschichte des 20. Jahrhunderts bis heute, Gütersloh/München 2006.
[EK]Eberhard Kolb: Die Weimarer Republik, 3. überarb. u. erw. Aufl., München 1993.
[EtzoldEtzold, Hans-Rüdiger, Der Käfer II. Die Käfer-Entwicklung von 1934 bis 1982 vom Urmodell zum Weltmeister, Stuttgart 1989.
[GG]Gitta Günther: Weimar-Chronik. Stadtgeschichte in Daten. Dritte Folge: März 1850 bis April 1945 (Weimarer Schriften, Heft 33), Weimar 1987.
[GrüttnerGrüttner, Michael, Das Dritte Reich 1933-1945 (= Bd. 19, Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte), Stuttgart 2014.
[HildebrandHildebrand, Klaus, Das Dritte Reich, 7. Aufl., München 2010.
[Kessler Tgbb]Harry Graf Kessler. Tagebücher 1918-1937, hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli, Frankfurt a. M und Leipzig 1996.
[KittelKittel, Erich, Novembersturz 1918. Bemerkungen zu einer vergleichenden Revolutionsgeschichte der deutschen Länder, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 104 (1968), S. 42-108.
[KolbKolb, Eberhard, Die Weimarer Republik, 7. durchges. und erw. Aufl., München 2010.
[NiedhartNiedhart, Gottfried, Die Außenpolitik der Weimarer Republik, 2. aktualisierte Aufl., München 2010.
[O/S]Manfred Overesch/ Friedrich Wilhelm Saal: Die Weimarer Republik. Eine Tageschronik der Politik, Wirtschaft, Kultur, Düsseldorf 1992.
[Overesch/SaalOveresch, Manfred/Saal, Friedrich Wilhelm, Die Weimarer Republik, Eine Tageschronik der Politik, Wissenschaft Kultur, Augsburg 1992.
[PeukertPeukert, Detlef, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M. 1987.
[PK]Paul Kaiser: Die Nationalversammlung 1919 und die Stadt Weimar (Weimarer Schriften, Heft 16), Weimar 1969.
[PM]Paul Messner: Das Deutsche Nationaltheater Weimar. Ein Abriß seiner Geschichte. Von den Anfängen bis Februar 1945 (Weimarer Schriften, Heft 17), Weimar 1985.
[ThHB]Thüringen-Handbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, hrsg. von Bernhard Post und Volker Wahl, Redaktion Dieter Marek (Veröffentlichungen aus Thüringischen Staatsarchiven, Bd. 1), Weimar 1999.
[TofahrnTofahrn, Klaus W., Chronologie des Dritten Reiches. Ereignisse, Personen, Begriffe, Darmstadt 2003.
[UB]Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistungen und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008.
[VU]Volker Ullrich: Die Revolution von 1918/19, München 2009.
[WinklerWinkler, Heinrich-August, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der Ersten deutschen Demokratie, München 1993.
[WirschingWirsching, Andreas, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, 2. erw. Aufl., München 2010.

(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)