Es könnte besser laufen für Thomas Mann
Mann hat eine leichte Sinnkirse. Hamsuns “Segen der Erde” bereitete ihm jedoch viel Freude und er ist voll des Lobes für dieses Werk. Dies brachte ihn jedoch dazu, erneut an sich zu zweifeln. Mann ärgert sich über seine Kinder und deren Verhalten, was er zuvor mit Gewalt quittierte. Zur Beruhigung geht er spazieren und pflegt soziale Kontakte.
Volltext:
Sonnabend den 12. IV.
Schnupfen und Husten. Studierte das Notizenmaterial. Es mag an meinem Schnupfen-Kopf liegen, aber was man Begeisterung nennt, finde ich vorderhand nicht. Wird das Ganze mich nicht selbst müßig und obsolet anmuten, sodaß beständige Hemmungen der Unlust die Arbeit begleiten werden? Jedenfalls muß das Ganze als »Geschichte aus der alten Zeit« stark gekennzeichnet werden; und wirklich steckt genug Satire auf die abgelaufene Epoche darin, - stärker, als im »Untertan«, wie mir scheint. Doch wird es auf ähnliche Art veraltet wirken, schon durch den pathologischen Grundzug. - Gestern Abend beendete ich Hamsuns »Segen der Erde«, ein herrliches Werk und, obgleich völlig unpolitisch, in tiefem Kontakt mit aller neuesten Sehnsucht: die Verherrlichung des Einödbauern, der ländlichen Selbstgenügsamkeit, der Haß auf die Stadt, die Industrie, den Handel, die Ironisierung des Staates, das alles ist dichterisch empfundener Kommunismus oder richtiger menschlich-poetischer Anarchismus, ohne Zweifel. Und bei aller Verschmitztheit der Technik ist Einfachheit, Güte, Gesundheit, Menschlichkeit da, ein Geist, der ohne Zweifel der der Zukunft, das heißt also: der Gegenwart ist, u. der meiner Vorkriegskonzeption eben fehlt. »Bauschan« und »Kindchen« sind dem näher. Zbg. sowohl wie Hochstapler sind historisch, lange bevor sie fertig. Aber schließlich, es handelt sich einfach um nachzuholendes und aufzuarbeitendes Tagewerk und Pensum. - - Ärger und Gram über das Wesen der Kinder: Klaus hemmungslos genäschig, fünf Minuten nach dringlichem Verbot, sodaß ich ihn im Zorn derb schlug. Erika nimmt ohne Erlaubnis K.'s goldnen Federhalter an sich, zur Schule, und verliert ihn dort. Verstimmung. - Machte bei mildem, bedecktem, windigen Wetter 1 ½ stündigen Spaziergang und hatte dank ihm besseren Appetit. – Telephon-Gespräch mit Endres, der mich vor einem im Anzuge befindlichen Welt beglücker u. Manuskriptträger, einem offenbar Gestörten, warnte und mitteilte, Augsburg verhandle bereits mit der Regierung in Bamberg, und Truppen würden nur darum nicht geschickt, weil man bestimmt mit einem baldigen sanften Ende des Räte-Regimes aus wirtschaftlichen Gründen rechnet. - Zum Thee K.'s Mutter, der die umbroch. Bogen des Merkur eingehändigt wurden. – Ging vorm Abendessen noch etwas aus, obgleich häßlicher Westwind herrschte. Las abends die Erzählung »Mirjam« des jungen Borrmann in Königsberg zu Ende, die ich bei sehr geistiger Aufmachung recht fragwürdig und verworren fand; dann eine tiefe und schöne kleine Novelle von Ssologub: »Der Kuß des Neugeborenen«. - Viel Husten. – K. schläft seit gestern im II. Stock. Wollte sie bald und glücklich niederkommen.
Quelle:
de Mendelssohn, Peter (Hrsg.), Thomas Mann. Tagebücher 1918-1921, Frankfurt am Main 1979, S. 194 f.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Knut_Hamsun#/media/File:Hamsun_bldsa_HA0341.jpg