Leviné und Levien für den Kampf um jeden Preis
Neues aus München: In verschiedenen Flugblättern werden unterschiedliche Meldungen in München verbreitet, wo noch immer eine besonders angespannte Lage herrscht. Die Truppen der demokratischen Regierung sammeln sich um die Stadt, während die Führung der kommunistischen Räterepublik um Eugen Leviné und Max Levien sich für den Entscheidungskampf bereit macht. Die Lage bleibt weiterhin unklar und instabil.
Volltext:
Der Mangel an Lebensmitteln.
(Telegramm unseres Korrespondenten.)
Fr. München, 26. April. (Umgeleitet)
Infolge der völlig ungeklärten Lage der Münchener kommunistischen Räterepublik, die nun schon volle 14 Tage andauert, ohne daß von seiten der Regierung des Ministerpräsidenten Hoffmann die entscheidenden Schritte unternommen worden wären, bemächtigt sich der Münchener Bevölkerung in steigendem Maße eine Nervosität, die allenthalben auch in mehr oder minder grundlosen Gerüchten zum Ausdruck kommt. In den gestrigen Spätnachmittagsstunden erschien über der Stadt ein Flieger, der Flugblätter mit einem Aufruf der Regierung abwarf. Gegen Abend verbreitete sich nun das Gerücht, das Flugblatt hätte die Aufforderung an die Bevölkerung enthalten, die Straßen zu verlassen, da Straßenkämpfe unmittelbar bevorständen. Tatsächlich war denn auch bald darauf der Verkehr in der Stadt in ungewohnter Weise besonders gering, so daß es den Anschein hatte, als hätte das Gerücht über einen bevorstehenden Entscheidungskampf seine Wirkung nicht verfehlt. Die Nacht ist indessen völlig ruhig verlaufen.
Die unwahren Gerüchte und Falschmeldungen, die dieser Tage über die Zustände in München verbreitet wurden, bieten den Organen der [Räte-]Regierung den willkommenen Anlaß, auch die Kundgebungen der Hoffmannschen Regierung als der Wahrheit zuwiderlaufend zu brandmarken. Gestern ging ein Flugblatt an die Bevölkerung, vor allem an die Soldaten und württembergischen Truppen, das sich gegen die „lächerlich dummen Lügen“ wendet, die von Mordbrennern, Plünderern und Frauenschändern zu berichten wüßten. Die Mannschaften der Bamberger Regierung, die sich um München sammeln, werden aufgefordert, Parlamentäre zur „Roten Garde“ zu entsenden, um sich über den wahren Stand der Verhältnisse in München, wo Ruhe und Ordnung herrsche, zu unterrichten. Die „Rote Armee“ wünsche ebensowenig den Kampf mit den „Weißen Garden“ wie irgendein Proletarier Münchens.
Ob das Schicksal Münchens durch einen blutigen Kampf sich entscheiden wird, werden wohl die nächsten Tage zeigen. Wenn auch die Kommunisten, geführt von den russischen Bolschewisten Leviné und Levien einen Kampf um jeden Preis fordern, so ist doch auch die Möglichkeit vorhanden, daß die besonneneren Organe der Räteregierung sich für eine Lösung der unerträglichen Lage auf dem Verhandlungswege entschließen, um so mehr, als der Mangel an Lebensmitteln die äußerst bedrängte wirtschaftliche Lage immer ärger zutage treten läßt. Die Speiselokale können ihren Gästen kaum noch das Notdürftigste bieten, und die Haushaltungen leiden empfindlich darunter, da selbst die rationierten Lebensmittel nicht mehr regelmäßig verteilt werden können. Die Verpflegung der Truppenmassen der „Roten Garde“ schafft für die Ernährung der Zivilbevölkerung besondere Schwierigkeiten, die durch die völlige Einstellung des Personenverkehrs noch vermehrt werden.
Die Bevölkerung sieht in banger Sorge der kommenden Entscheidung entgegen, die stündlich fallen kann. In Erwartung der Entscheidung geht das Leben in der Stadt unter dem Druck der ganzen Lage seinen gewohnten Gang.
Quelle:
Das Berliner Tageblatt vom 28. April 1919, 48:189 (1919), S. 1.
Bild 1:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eugen_Leviné#/media/File:Eugene_Levine1.jpg
Bild 2:
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Levien#/media/File:Max_Levien.PNG