So heiß war es noch nie
Thomas Mann berichtet von der Vereidigung Ebert im Nationaltheater, auch wenn er sich vor allem über die Hitze beschwert. Außerdem ist seine Tochter Elisabeth ("Lisa") krank, die Schnupfen hat.
Volltext:
Donnerstag den 21. VIII. (Nachts)
Kehre aus dem Nationaltheater zurück, wo ich mit Erika u. Klaus in einer Balkonloge den »Heiling« hörte, dessen Tonio Kröger-Romantik und, darüber hinaus, dessen Mischung von Dämonie und Volkstümlichkeit mir wieder den lebhaftesten Eindruck machte. Wir fuhren mit Walters nach Hause; auch eine Schwester der Frau, die Kinder und der junge Sohn des Kammersängers Kraus waren dabei. Die Luft im Theater war arg; seit einer Reihe von Tagen, die sich fortsetzen zu wollen scheint, herrscht glühende Hitze. Es gab gestern und heute wohl die wärmsten Abende u. Nächte, die ich in München erlebte. Dienstag waren Walters bei uns zum Abendessen auf der Veranda. Er spielte u. sang nachher den 2. Akt Tristan. Gestern Abend aß Richter bei uns, mit dem die Affaire der illustrierten Ausgaben (T. i. V., Kl. H. Fr.) zu besprechen war, und nachher kamen die nach Darmstadt übersiedelnden Schwestern Schöll. Man saß auf der Gartenbank und auf der Veranda. - Gratulationen kommen noch immer. Der Brief eines Berliner Geh. Justizrates freute mich. Mehr noch und ernster, die erneute, durch die Schölls vermittelte Nachricht, daß Wölfflin ein warmer Bewunderer und Liebhaber des »T. i. V.« ist. Gewiß, das will etwas besagen. - Die Arbeit am 4. Kapitel Zbg. schritt in diesen Tagen nur träge fort. – Lisa seit heute stark verschnupft. Sie schrie abends lange. Mitleid und Besorgnis. Katja, die morgen früh mit den 4 Größeren nach Stock am Chiemsee auf 14 Tage reist, war unsinnig beschäftigt und höchst strapaziert. Betrübend. - Ich wurde mit dem Keyserling fertig und begann Gontscharows »Allt. Geschichte« ihrer pädagogischen Ader wegen wieder zu lesen. - Die Weltpolitik eine Komödie ohne gleichen. Die Engländer in Persien; Wut Frankreichs; vernichtende italienische Kritik an Versailles; amerik. Mißtrauen gegen Japan.
Quelle:
de Mendelssohn, Peter (Hrsg.), Thomas Mann. Tagebücher 1918-1921, Frankfurt am Main 1979, S. 295 f.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Mann_Borgese#/media/Datei:Katja_Mann_mit_ihren_sechs_Kindern_um_1919.jpg