Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

DE | EN

Ebert an die heimkehrenden Soldaten: "Das Reich der Zerstörung habt Ihr verlassen, die Pforte des Schaffens tut sich vor Euch auf"

Nach vier Jahren Krieg kehren die deutschen Soldaten nun endlich zurück in die Heimat, besonders in der Reichshauptstadt Berlin wird ihnen ein grandioser Empfang beschert. Zur Feier des Tages hält der Volksbeauftragte Friedrich Ebert die erste aller Willkommensreden. Die Unterstellung, dass Ebert an diesem Tag mit dem Satz "Kein Feind hat euch überwunden" der sog. Dolchstoßlegende Vorschub leistete, muss zurückgewiesen werden. Gleich im darauffolgenden Satz stellt er klar, dass von deutscher Seite der Kampf abgebrochen werden musste, auch um den Soldaten angesichts der erdrückenden gegnerischen Übermacht noch weiteres Leid zu ersparen. Worum es Ebert stattdessen ging, war die Frontsoldaten baldmöglichst wieder in das zivile "Kulturwerk" der nun demokratischen Gesellschaft einzugliedern.

Volltext:

Der Einzug der Truppen.

[…] Ein Trompetensignal forderte Gehör für den ersten Festredner, und langsam trat Ruhe ein. Der Volksbeauftragte Genosse Ebert ergriff das Wort und begrüßte die heimgekehrten Truppen mit folgender oft von Beifallsrufen unterbrochenen Ansprache:

„Kameraden, willkommen in der Deutschen Republik. Herzlich willkommen in der Heimat, die sich nach Euch gesehnt hat: deren bange Sorge Euch ständig umschwebte. In diesem Augenblick da wir Euch am heimatlichen Herde begrüßen, gilt unser erster Gedanke den Teuren Toten. Ach so viele kehren nimmer wieder. Hunderttausende mussten vor dem Ende des Kampfes zurückkehren, zerfetzt und verstümmelt von feindlichen Geschossen. Ihnen allen, die sich für den Schutz der Heimat aufgeopfert haben, unsern unauslöchlichen Dank. Wir können ihren Opfermut nicht vergelten, und bloßen Worte sind zu schwach, ihnen zu danken. Was wir ihnen an Taten der Dankbarkeit darbringen können, das wollen wir ihnen in Treue leisten.

Der Verbesserung des Loses der Kriegshinterbliebenen und Kriegsinvaliden galt des neuen deutschen Volksstaates erste Verfügung. Ihr seid dem gräßlichen Gemetzel glücklich entronnen. Froh begrüßen wir Euch in der Heimat. Seid willkommen von ganzem Herzen, Kameraden, Genossen, Bürger.

Eure Opfer und Taten sind ohne Beispiel. Kein Feind hat Euch überwunden. Erst als die Übermacht der Gegner an Menschen und Material immer drückender wurde haben wir den Kampf aufgegeben. Und gerade Eurem Heldenmute gegenüber war es Pflicht, nicht noch zwecklose Opfer von Euch zu fordern. Allen Schrecken habt Ihr mannhaft widerstanden - Mannschaften und Führer -, sei es in den Kreidefelsen der Champagne, in den Sümpfen Flanderns oder auf dem elsässischen Bergrücken, sei es im unwirtlichen Russland oder im heißen Süden. Unendliche Leiden habt Ihr erduldet, unvergängliche, fast übermenschliche Taten vollbracht, unvergleichliche Proben Eures unerschütterlichen Mutes Jahr um Jahr abgelegt. Ihr habt die Heimat vor feindlichem Einfall geschützt. Ihr habt Euren Frauen und Kindern, Euren Eltern den Mord und Brand des Krieges ferngehalten, Deutschlands Fluren und Werkstätten vor Verwüstung und Zerstörung bewahrt. Dafür dankt Euch die Heimat in überströmendem Gefühl.

Erhobenen Hauptes dürft Ihr zurückkehren. Nie haben Menschen Größeres geleistet und gelitten als Ihr. Im Namen des deutschen Volkes tiefinnigen Dank und noch einmal herzlichen Willkommensgruß in der Heimat.

Ihr findet unser Land nicht so vor, wie Ihr es verlassen habt. Neues ist geworden die deutsche Freiheit ist erstanden. Die alte Herrschaft, die wie ein Fluch auf unseren taten lag, hat das deutsche Volk abgeschüttelt. Es at sich selbst zum Herrn über das eigene Geschick gemacht. Auf Euch vor allem ruht die Hoffnung der deutschen Freiheit. Ihr seid die stärksten Träger der deutschen Zukunft. Niemand hat schwerer als Ihr unter der Ungerechtigkeit des alten Regimes gelitten, an Euch haben wir gedacht, als wir mit einem verhängnisvollen System aufräumten, für Euch haben wir die Freiheit erkämpft, für Euch der Arbeit ihr Recht errungen.

Nicht mit reichen Gaben können wir Euch empfangen, nicht Behaglichkeit und Wohlstand Euch bieten; unser unglückliches Land ist arm geworden. Schwer lastet auf uns der Druck harter Gebote der Sieger. Aber aus dem Zusammenbruch wollen wir uns eine neues Deutschland zimmern, mit der rüstigen Kraft und dem unerschütterlichen Mut, den Ihr tausendfach bewährt habt.

Wetteifernd haben Angehörige aller deutschen Stämme draußen im Kampfe gestanden, Angehörige aller deutschen Stämme stehen vor uns. Schulter an Schulter habt Ihr gemeinsam gerungen, geopfert, geblutet, Not und Tod ins Auge geschaut. Nun liegt Deutschland Einheit in euer Hand, sorgt Ihr dafür, daß Deutschland beieinander bleibt, daß nicht das alte Kleinstaatenelend uns wieder übermannt, daß nicht alte Zerissenheit unsere Niederlage vervollständigt. Rettet Ihr die Einheit der deutschen Nation, die Ihr nun Bürger werdet der einen, der untrennbaren Deutschen Republik!

Und dann geht mit uns an den Wiederaufbau des Zerstörten. Oft - wenn Ihr draußen dem grausigen Handwerk obliegen musstet, zog Euch Sehnsucht zurück zur friedlichen Werkstätte, zum Kulturwerk daheim. Die sozialistische Republik, die Euch durch mich begrüßt, wird ein Gemeinwesen der Arbeit sein. Arbeit ist die Religion des Sozialismus, arbeiten müssen wir mit aller Kraft, mit ganzer Hingabe, sollen wir nicht zugrunde gehen und verkommen, sollen wir nicht zum Bettelvolk herabsinken. Das Reich der Zerstörung habt Ihr verlassen, die Pforte neuen Schaffens tut sich vor Euch auf, Eure Tatkraft, Euer Mut die draußen nie erlahmten, müssen uns zu neuem Friedensglück führen. Bald schlägt die ersehnte Stunde des Friedens, bald wird die Republik fest verankert durch den unantastbaren Willen des ganzen deutschen Volkes. Ihr legt die Waffen aus der Hand, die getragen von den Söhnen des Volkes, dem Volke nie eine Gefahr, sondern stets nur Schutz sein sollen. Ihr sollt mitschaffen an dem großen Werk einer neuen deutschen Zukunft - der Zukunft unseres Volkes, dessen Glück Eure fleißigen Hände erbauen müssen von Grund auf.

Und so lasst mich Eure Treue zur Heimat, die uns allen gemeinsame Liebe zur Einheit Deutschlands, unseren Stolz auf die Freiheit und die große unteilbare deutsche Republik zusammenschließen in dem Ruf: Unser deutsches Vaterland, die deutsche Freiheit, der freie Volksstaat Deutschland, - sie leben hoch!“ […]

Reichspräsident Friedrich Ebert

Quelle:

Vorwärts vom 11. Dezember 1918, Nr. 340, S.3

In: http://fes.imageware.de/fes/web/

 

Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Ebert#/media/File:Friedrich_Ebert.jpg

Glossar anzeigen
Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
[AB]August Baudert: Sachsen-Weimars Ende. Historische Tatsachen aus sturmbewegter Zeit, Weimar 1923.
[AS]Axel Schildt: Die Republik von Weimar. Deutschland zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ (1918-1933), hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2009.
[BauerBauer, Kurt, Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, u.a. Wien 2008.
[BihlBihl, Wolfdieter, Der Erste Weltkrieg 1914 - 1918. Chronik - Daten - Fakten, Wien 2010.
[BüttnerBüttner, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Stuttgart 2008.
[DNV]Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919 in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates, hrsg. v. Ed.[uard] Heilfron, Bd. 1 bis 6, Berlin [1919].
[Ebert/Wienecke-JanzEbert, Johannes/Wienecke-Janz, Detlef, Die Chronik. Geschichte des 20. Jahrhunderts bis heute, Gütersloh/München 2006.
[EK]Eberhard Kolb: Die Weimarer Republik, 3. überarb. u. erw. Aufl., München 1993.
[EtzoldEtzold, Hans-Rüdiger, Der Käfer II. Die Käfer-Entwicklung von 1934 bis 1982 vom Urmodell zum Weltmeister, Stuttgart 1989.
[GG]Gitta Günther: Weimar-Chronik. Stadtgeschichte in Daten. Dritte Folge: März 1850 bis April 1945 (Weimarer Schriften, Heft 33), Weimar 1987.
[GrüttnerGrüttner, Michael, Das Dritte Reich 1933-1945 (= Bd. 19, Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte), Stuttgart 2014.
[HildebrandHildebrand, Klaus, Das Dritte Reich, 7. Aufl., München 2010.
[Kessler Tgbb]Harry Graf Kessler. Tagebücher 1918-1937, hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli, Frankfurt a. M und Leipzig 1996.
[KittelKittel, Erich, Novembersturz 1918. Bemerkungen zu einer vergleichenden Revolutionsgeschichte der deutschen Länder, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 104 (1968), S. 42-108.
[KolbKolb, Eberhard, Die Weimarer Republik, 7. durchges. und erw. Aufl., München 2010.
[NiedhartNiedhart, Gottfried, Die Außenpolitik der Weimarer Republik, 2. aktualisierte Aufl., München 2010.
[O/S]Manfred Overesch/ Friedrich Wilhelm Saal: Die Weimarer Republik. Eine Tageschronik der Politik, Wirtschaft, Kultur, Düsseldorf 1992.
[Overesch/SaalOveresch, Manfred/Saal, Friedrich Wilhelm, Die Weimarer Republik, Eine Tageschronik der Politik, Wissenschaft Kultur, Augsburg 1992.
[PeukertPeukert, Detlef, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M. 1987.
[PK]Paul Kaiser: Die Nationalversammlung 1919 und die Stadt Weimar (Weimarer Schriften, Heft 16), Weimar 1969.
[PM]Paul Messner: Das Deutsche Nationaltheater Weimar. Ein Abriß seiner Geschichte. Von den Anfängen bis Februar 1945 (Weimarer Schriften, Heft 17), Weimar 1985.
[ThHB]Thüringen-Handbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, hrsg. von Bernhard Post und Volker Wahl, Redaktion Dieter Marek (Veröffentlichungen aus Thüringischen Staatsarchiven, Bd. 1), Weimar 1999.
[TofahrnTofahrn, Klaus W., Chronologie des Dritten Reiches. Ereignisse, Personen, Begriffe, Darmstadt 2003.
[UB]Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistungen und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008.
[VU]Volker Ullrich: Die Revolution von 1918/19, München 2009.
[WinklerWinkler, Heinrich-August, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der Ersten deutschen Demokratie, München 1993.
[WirschingWirsching, Andreas, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, 2. erw. Aufl., München 2010.

(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)