Kurt Eisner ermordet! - Schüsse im bayerischen Landtag
Der wichtigste Protagonist der bayerischen Revolution - Kurt Eisner - wurde am 21. Februar auf der Straße erschossen. Das Berliner Tageblatt berichtet über die Ereignisse. Der Schütze - Anton Graf von Arco-Valley - wurde entgegen der ersten Meldungen nicht getötet. Später sollte der Prozess gegen ihn zu einem Justizskandal werden. Graf Arco handelte aus nationalistischen und antisemitischen Motiven heraus, was besonders tragisch erscheint, da seine Mutter - Emmy Freiin von Oppenheim - ebenso wie Eisner jüdischen Glaubens war.
Volltext:
Ministerpräsident Kurt Eisner ist heute Vormittag, 10 Uhr, auf dem Wege vom Ministerium des Äußern zum Landtag an der Ecke der Pranner- und Promenadenstraße von einem Studenten durch drei Revolverschüsse getötet worden. Der Student wurde von einem Matrosen der Schutzwache, die Eisner begleitete, sofort niedergestreckt. Eisner fiel blutüberströmt in die Arme eines Soldaten, der ihm zur Seite ging. Die beiden Leichen wurden ins Ministerium des Äußern gebracht. Die Personalien des Studenten konnten noch nicht genau festgelegt werden. Es soll sich aber um den jungen studierenden Grafen Arco-Valley handeln.
Die erste Sitzung des Landtags war noch nicht eröffnet, als diese Kunde ins Haus drang. Der Alterspräsident Dr. Jäger erklärte darauf die Sitzung für eine Stunde verschoben. Im Hause und in der Prannerstraße sowie in der ganzen Stadt herrscht größte Bestürzung. Die Straßen zum Landtag sind abgesperrt. Niemand kann mehr aus dem Hause heraus und hinein.
Die Ermordung Eisners wird von jedem verurteilt, gleich auf welchem politischen Standpunkt er steht. Außerdem kann dieser Mord für Bayern politische Erschütterungen nach sich ziehen.
(Von uns in den Vormittagsstunden durch Extrablatt bereits gemeldet. Die Redaktion.)
Der Minister der sozialdemokratischen Mehrheit [Erhard] Auer ist durch Attentat lebensgefährlich verwundet worden, gerade als er bei der Wiedereröffnung der Sitzung um viertel nach 11 Uhr im Namen des Ministerrates seine Erklärungen über die Absichten Eisners und des Gesamtministeriums, heute vom Amte zurückzutreten, vor dem neuen Landtag zu Ende gesprochen hatte. Ein Mann in hellgrauem Überzieher drang plötzlich in den Sitzungssaal, gab mehrere Schüsse aus einer Pistole ab, und Auer sank sofort getroffen nieder, auf der Seite hinter der Ministerbank ein zweiter, der Ministerialrat im Kriegsministerium Garres [eigentlich: Jahreiss, Anm.]. Als die tiefbestürzten Abgeordneten in dem verworrenen Durcheinander den Mörder festhalten wollten, gab der Mann, der dem revolutionären Arbeiterrat angehören soll, noch fünf weitere Schüsse auf die Ministerbank ab mit dem Ruf: „Alle schieß´ ich euch nieder!“ Die Abgeordneten duckten sich hinter die Bänke und warfen sich zu Boden. Gleichzeitig fielen Schüsse von der Zuschauertribüne. Dabei wurde der Zentrumsabgeordnete Osel, der bekannte Wirtschaftspolitiker, getötet. Auer lebt zur Stunde noch; der Schuß traf unterhalb des Herzens. Auf der Ministerbank wurde ihm ein Notverband angelegt. Auch der schwerverwundete Ministerialrat Garres lebt noch.
Über den Verlauf der kurzen Sitzung ist noch folgendes zu berichten: Nach Wiederaufnahme der Sitzung gab der Minister Auer folgende Erklärung ab (das Haus hörte sie stehend an): „Der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner hat soeben durch Mörderhand seinen Tod gefunden. Der Mörder ist auf der Stelle gerichtet worden. Die Tat wurde von ruchloser Hand in feiger Weise verübt, als Eisner auf dem Wege zum Landtag war, um dort inmitten der gewählten Volksvertretung sein Amt als provisorischer Ministerpräsident niederzulegen. Diese Handlung muß bei jedem anständigen Menschen tiefsten Abscheu hervorrufen. (Sehr richtig!) Der politische Konflikt stand vor seiner gütlichen Lösung. Eisner war im Begriff, dem versammelten Landtag, dem Ministerrat bei Anwesenheit aller Minister den einstimmig gefaßten Beschluß mitzuteilen, daß das gesamte provisorische Ministerium seine Ämter in die Hände der gewählten Volksvertretung legen wird. Damit war die Grundlage geschaffen, auf der nach demokratischen Grundsätzen die wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Aufgaben sich vollziehen und damit die bestehende Not des Volkes gemindert werden sollte. Um so unverantwortlicher ist die Bluttat. (Sehr richtig!) Wir beklagen in dem Ermordeten den Führer der Revolution in Bayern und zugleich den vom reinstem Idealismus und von treuer Sorge für das Proletariat erfüllten Menschen. Auf diesem Wege kann und darf nicht fortgefahren werden, wenn nicht vollkommene Anarchie eintreten soll. Angesichts dieser wahnsinnigen Mordtat, gegen deren Urheber mit aller rücksichtslosen Strenge vorgegangen wird, gilt es nunmehr, die Besonnenheit zu bewahren und alle Kräfte zusammenzuschließen, um die ungeheuren Aufgaben der nächsten Zeit so zu lösen, wie es die Interessen des gesamten bayerischen Volkes erfordern.“ (Lebhaftes Bravo.)
Quelle:
Berliner Tageblatt Nr. 83 vom 21.2.1919
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1919-02-21/27646518/
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Eisner#/media/File:Kurt_Eisner_Stele_in_der_Math%C3%A4ser-Einkaufspassage_in_M%C3%BCnchen.JPG