Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

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Neue Armee, alte Befindlichkeiten

Mit der Rückführung von Millionen deutscher Soldaten in die Heimat löste sich auch die klare Struktur der alten Armee auf. Der Aufbau einer neuen Armee, um den Abspaltungsversuchen der Polen im Osten entgegenzutreten, schien unabdingbar. Doch ausgerechnet die rechten Deutschnationalen stellten sich zusammen mit der USPD quer. Über das seltsame Einvernehmen zwischen links und rechts in der Nationalversammlung berichtet das Jenaer Volksblatt.

Volltext:

Die Bildung einer vorläufigen Reichswehr.

Eine der wichtigsten Aufgaben der verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung war von Anfang an die Wiederbewaffnung eines kleinen, aber leistungsfähigen Heeres. Dieser Aufgabe trägt der Initiativantrag der Abgeordneten Loebe, Gröber, Payer, Reßler und Genossen Rechnung, der die Bildung einer vorläufigen Reichswehr vorsieht. Nachdem die Parteien sich über den Antrag geeinigt hatten, war es nicht nur erwünscht, sondern im staatlichen Interesse unbedingt geboten, dass er von der Nationalversammlung so schnell wie möglich verabschiedet wurde. Das traurige Verdienst, die Vornahme der ersten und zweiten Lesung bereits am Montag dieser Woche verhindert zu haben, gebührt der Deutschnationalen Volkspartei, die damit ihrer Verweigerung der Kriegskredite ein neues Ruhmesblatt zugefügt hat. Wenn schon die Deutschnationalen schlechte Politik machen wollen, dann sollten sie mindestens dafür sorgen, dass diese Politik taktisch geschickt vertreten wird. So wie sie jetzt aber in der Nationalversammlung geführt werden, bieten sie wirklich ein beinahe tragikomisch wirkendes Bild dar.

Das Unhaltbare ihrer taktischen Stellung in der Wehrfrage, die sie wie üblich an die Seite der Unabhängigen Sozialdemokraten geführt hatte, schienen die Deutschnationalen selbst bei der ersten und zweiten Beratung des Gesetzentwurfes am Dienstag schwer zu empfingen. Sie stimmten in allen entscheidenden Fragen mit der Mehrheit, ohne freilich in der Art der Begründung ihres Standpunktes durch den Abgeordneten Baerecke auf die scharfe Betonung ihres prinzipiellen Gegensatzes zur Mehrheit auch in den Heeresfragen zu verzichten.

Sonst bot die Debatte wenig politisch bemerkenswerte Momente. Dass die Unabhängigen einige Reden zum Fenster hinaus hielten und einige Anträge zu Agitationszwecken stellten, konnte niemand verwundern. Oder glaubt der Abgeordnete Cohn wirklich, sein Antrag, die Reichsregierung zu einem alle drei Monate zu erfolgenden Rechenschaftsbericht zu veranlassen, hätte jemals praktische Gestalt annehmen können? Die Anträge der Unabhängigen fanden denn auch, bis auf einen einzigen, das wohlverdiente ablehnende Schicksal. Die Stellung der Fraktion der Deutschen Demokratischen Partei wurde durch den Abgeordneten Siehr in der Generaldebatte und durch den Abgeordneten v. Langheinrich in der zweiten Lesung wirkungsvoll vertreten. Abg. Siehr wies auf die Notwendigkeit des Grenzschutzes in den Ostprovinzen in zwingender Beweisführung hin, die selbst der angebliche Funkspruch der Sowjetregierung nicht entschärfen konnte (denn um die russischen Bolschewisten für Unschuldslämmer zu halten, muss man schon ein Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratie sein); der Abg. v. Langheinrich entnahm aus seinen praktischen Erfahrungen im Kriege die unabweisliche Pflicht, den besonders bewährten Unteroffizieren die Offizierslaufbahn zu eröffnen. Die Kluft, die sich während der Kriegsjahre zwischen Offizieren und Mann aufgetan hat, trägt einen Teil von Schuld mit an dem Unglück, das uns betroffen hat. Um so dringender die Aufgabe für uns, diese Kluft nach Möglichkeit zu überbrücken! Auch die Forderung des Abgeordneten v. Langheinrich, dass die Offiziere und Unteroffiziere, die in die Reichswehr eintreten, in erster Linie Anspruch auf Übernahme in die zukünftige Reichsmacht haben sollen, dürfte kaum auf ernstlichen Widerspruch stoßen.

Die endgültige Verabschiedung des Gesetzes wird am Donnerstag erfolgen. Möchte das Ziel, das die Auftragsteller von im erhoffen, erreicht werden, und damit, trotz allen neuen Unruhen dieser Tage, ein weiterer Schritt getan sein zum Wiederaufbau unseres Vaterlandes!

Gustav Noske (rechts), Erster Reichswehrminister (© BArch, Bild 183-1989-0718-501 / Foto: Walter Gircke)

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 27. Februar 1919, Nr. 49

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00258972/JVB_19190227_049_167758667_B1_001.tif

Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichswehr#/media/File:Bundesarchiv_Bild_183-1989-0718-501,_Gustav_Noske_und_Walter_L%C3%BCttwitz.jpg

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Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

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(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)