"Die Idealistin des Negativen"
Die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ist ein Ereignis des Revolutionswinters, das bis heute seine Nachwirkung nicht verloren hat. Beide sind durch ihr brutales Ende zu Märtyrern geworden. Vorgeschichte der Ermordung ist der Spartacus-Aufstand, der Anfang Januar Berlin erschütterte und nach einigen Tagen niedergeschlagen wurde. Luxemburg hatte den mit unzureichenden Kräften unternommenen Putschversuch zunächst abgelehnt, ihn dann aber doch unterstützt. Und noch am 14. Januar, einen Tag vor ihrer Ermordung, schreibt sie in der „Roten Fahne“ über den unvermeidlichen Sieg der kommunistischen Revolution trotz dieser vorübergehenden Niederlage.
Der Nachruf von Georg Siegerist, einem Journalisten und Reisebuchautor, erschien in der Berliner Volks-Zeitung, einem linksliberalen, der DDP nahestehenden Blatt. Also eine Zeitung, die Luxemburg und Liebknecht ganz und gar nicht freundlich betrachtete. Trotzdem ist der Nachruf frei von jeder Häme oder auch nur entfernter Billigung der Tat – im Gegenteil wird zur Bestrafung der Täter aufgerufen und den Ermordeten menschliche Sympathie entgegengebracht. Die genaueren Hintergründe der Tat sind noch kaum bekannt, weswegen der Nachruf noch der amtlichen Lesart folgt. Kurz danach kamen erste Zweifel an der ersten Darstellung auf und genauere Untersuchungen folgten. Der Drahtzieher der Ermordung, ein Offizier namens Waldemar Pabst, wurde jedoch nicht einmal angeklagt für sein Verbrechen.
Volltext:
„Wer Wind säet, wird Sturm ernten … Das alte Wort hat einen neuen schrecklichen Beweis gefunden. Furchtbar war das Ende Karl Liebknechts und seiner Genossin Rosa Luxemburg. Die Saat beider ist schrecklich aufgegangen: Liebknecht auf der Flucht erschossen, nachdem er beinahe gelyncht, Rosa Luxemburg schwer mißhandelt, dann erschossen, zerrissen – das Herz jedes Menschen krampft sich zusammen ob des Gräßlichen, das sich im Berliner Westen abgespielt … ein Nachtstück, wie es sich den düstersten Vorgängen aller Zeiten zur Seite stellt.
Karl Liebknecht, geboren am 13. August 1871 als Sohn Wilhelm Liebknechts zu Leipzig, studierte die Rechte, war preußischer Referendar. Er wird als sehr begabt, aber auch als krankhaft geschildert; er glaubte sich als der Sohn seines Vaters zu großen Dingen in der sozialdemokratischen Partei berufen. Er wurde Rechtsanwalt und Stadtverordneter in Berlin, 1907 (zusammen mit Adolf Hoffmann) ins preußische Abgeordnetenhaus gewählt, 1912 Reichstagsabgeordneter. In echt demagogischer Art suchte er stets durch Sensationen zu wirken, stellte immer seine Person in den Vordergrund. Er wurde namentlich von der ausländischen Presse stark überschätzt.
Seit Kriegsausbruch spielte er im Reichstage seine Rolle für sich. Man zog ihn zum Heeresdienst ein, stempelte ihn zum Märtyrer aus Anlaß seiner Demonstration auf dem Potsdamer Platz. Die Revolution vom 9. November brachte ihm die Entlassung aus dem Zuchthause, und von dem Tage an hielt er an der Spitze des Spartacus-Bundes Berlin und Deutschland in Atem. Wieviel Idealismus und Eitelkeit bei seinem Auftreten miteinander im Wettbewerb lagen, bleibe unerörtert – er ist jetzt tot, und angesichts seines schrecklichen Endes wird man selbst ihm, der in diesen Tagen so vieler Menschen Tod veranlaßt hat, doch ein menschliches Fühlen nicht versagen.
Rosa Luxemburg, seine Genossin im politischen Leben und im Tode, war zweifellos die stärkere Intelligenz von beiden. Eine hohe Energie, ein scharfes Denkvermögen lebte in dieser Frau. Sie war beinahe Liebknecht gleichaltrig – geboren am 20. Dezember 1870 in Jamost in Russisch-Polen. Frühzeitig kam sie nach Deutschland. Um als sozialistische Agitatorin nicht ausgewiesen zu werden, ging sie die bekannte Scheinehe mit Lübeck ein, durch die sie preußische Staatsangehörigkeit erlangte. Eine ausgezeichnete Rednerin, war sie in den sozialistischen Versammlungen gefürchtet. Mit innerster Überzeugung vertrat sie in ihrer Agitation das Endziel, das sich heute in den Tendenzen des Bolschewismus formuliert hat, mit echt russisch-revolutionärer Leidenschaft. Sie war eine Idealistin des Negativen, der jedes Mittel, auch das furchtbarste, zur Erreichung ihrer Ziele recht war. Sie hatte der bürgerlichen Gesellschaft den Kampf bis aufs Messer angekündigt, und sie ist jetzt in diesem Kampfe gefallen, nachdem sie mit Liebknecht zusammen den Terror in Berlin durch Wochen aufrechterhalten hatte. Ihr Ende ist noch furchtbarer als das Liebknechts; die Bestialität, mit der man sie ermordet hat, erregt das Entsetzen jedes anständig fühlenden Menschen, und man fragt sich schauernd, was für Elemente es gewesen sein mögen, die zu solch einer grauenhaften Handlung fähig gewesen sind. Hoffentlich gelingt es, der Mörder habhaft zu werden, damit das unaussprechliche Verbrechen seine gerechte Sühne findet.
Die Weltgeschichte watet durch Blut – historische Vergleiche sind jetzt überflüssig. Aber die deutsche Revolution mit ihren schrecklichen Begleiterscheinungen zeigt uns aufs neue, daß wir vom Friedensideal, dem politischen wie dem sozialen, noch weit entfernt sind. Mehr denn je bedürfen die Führer unseres Volkes ernster Sammlung, weiser Besonnenheit, um ihr Amt auszuüben und das deutsche Volk durch die schweren Stürme hindurchzuleiten, die seine Existenz bedrohen.
Quelle:
Berliner Volks-Zeitung, Nr. 17 (17.01.1919 M): „Der Tod Liebknechts und Rosa Luxemburgs“ von G. S. (= Georg Siegerist)
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1919-01-17/27971740/