MSPD: Arbeiter und Arbeiterinnen! Lasst euch von den Unabhängigen nicht täuschen!
Während der Januaraufstand Blut auf den Straßen Berlins hinterlässt, versuchen die verschiedenen linken Parteien Herrin der Lage zu werden. Die MSPD beruft sich dabei auf Ordnung und Demokratie sowie ihre als Todschlagargument scheinende Volksmehrheit. Das Problem dieser Argumentation: Noch wurde ihre Regierungsfunktion nicht durch eine Volksmehrheit legitimiert. Die reichsweiten Wahlen zur Nationalversammlung finden erst noch statt.
Volltext:
Es geht ums Ganze!
Unabhängige Sozialisten, „revolutionäre“ Obleute und Spartakus haben sich vereinigt, um den Kampf gegen den Sozialismus und die Demokratie mit allen Mitteln der Gewalt aufzunehmen und ihre Diktatur aufzurichten. Demgegenüber muß sich jetzt jeder entscheiden.
Es gibt nur ein Hüben und Drüben!
Alle Hoffnungen, daß noch eine Verständigung herbeigeführt werden könnte, sind zunichte geworden. Nur durch den entschlossenen Willen der Volksmehrheit kann die Ordnung und die Sicherung der revolutionären Freiheit erzwungen werden.
Vier Jahre haben wir um die Beendigung des Völkermordens gekämpft. Wir glaubten, daß jetzt endlich die Vernunft gesiegt hätte und das Blutvergießen für alle Zeit aufhören würde. Dieselben Leute aber, die sich als die schärfsten Kriegsgegner gebärdeten, sind jetzt mit Wollust dabei, das Blut der deutschen Arbeiter zu vergießen. Spartakus trägt die Verantwortung für dieses Blutvergießen, zu welchem er stündlich aufreizt, und die Unabhängigen leisten ihm hierbei Helferdienste.
Die Vermittlungsversuche der unabhängigen sozialdemokratischen Partei kann man dennoch nur als Scheinmanöver bezeichnen. Während sie hier die Rolle des uneigennützigen Maklers zu spielen versuchen, sind alle Aufrufe zum gewaltsamen Kampf gegen Ordnung und Demokratie, gegen den Willen der Volksmehrheit und gegen die Regierung von ihnen mitunterzeichnet! Dabei wußten die Unabhängigen genau, daß sie überhaupt keine Vollmacht zu Verhandlungen hatten, da der eigentlich tonangebende Liebknechtsche Spartakusbund von vornherein jede Teilnahme an den Einigungsverhandlungen abgelehnt hatte.
Die Unabhängigen haben längst jeden Einfluß auf die Arbeiterschaft verloren.
Die Regierung machte zur Voraussetzung jeder Verhandlung, daß die gewaltsam besetzten Zeitungen freigegeben würden. Dies wurde von den Unabhängigen abgelehnt, die sich damit im Zeitalter der Revolution als Feinde der Preßfreiheit kennzeichnen. An ihrer Schuld sind also die Verhandlungen gescheitert.
Deshalb Augen auf! Laßt euch nicht täuschen.
Wenn jetzt die Unabhängigen in den Betrieben immer wieder zur Einigung auffordern, so ist das eine Irreführung der Arbeiter, die in Wirklichkeit nur zur Verstärkung der Verhetzung dienen soll. Die sozialdemokratische Mehrheitspartei, die Betriebsvertrauensleute und die Arbeiterräte, welche auf unserem Boden stehen, sind entschlossen, den Kampf aufzunehmen und jeden Terror zu unterdrücken, ganz gleich, von welcher Seite er kommt.
Mit aller Entschiedenheit bekämpfen wir auch die heute von den Spartakisten und Unabhängigen ausgehende Parole zum Generalstreik. Es kommt darauf an, die Berliner Bevölkerung von Not und Hunger zu schützen.
Arbeiter und Arbeiterinnen!
Arbeitet! Folgt nur den Parolen, die von uns ausgegeben werden. Wenn es gilt, für euer Recht zu kämpfen, werden wir euch rufen.
Der Vorstand der sozialdemokratischen Bezirksorganisation Groß-Berlin (S. P. D.)
Theodor Fischer Franz Krüger. August Pattloch.
Quelle:
Der Vorwärts vom 10. Januar 1919, Extrablatt 4:36 (1919), S. 2.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Spartakusaufstand#/media/File:Spartakusaufstand_Vorw%C3%A4rsgeb%C3%A4ude_Regierungstruppen.jpg