Thomas Mann: Wird es einen amerikanisch-englischen Wirtschaftskrieg geben?!
Mann berichtet von der Wahl zur bayerischen Nationalversammlung. Abends will er die Wahlergebnisse in größerer Runde mitverfolgen, was jedoch nicht zustande kommt, und er deshalb ein Gespräch mit Professor Oppenheimer führt, der Vorzeichen für einen Wirtschaftskrieg zwischen Amerika und England sieht.
Volltext:
Sonntag den 12.1.
Tag der Wahl zur bayrischen Nationalversammlung. Herrliches Winterwetter. Ging ½ 9 Uhr mit K. hinauf zur Bogenhausener Volksschule, um die Wahlhandlung zu vollziehen. Trafen Frl. Hanfstängl an Ort und Stelle und hatten auf den Beginn zu warten. Gaben unsere Stimmen der Deutschen Volkspartei i. B., K. der Frau Dr. Kempf, ich dem Kaufmann Hübsch. Gingen gut gelaunt nach Hause und frühstückten. Dann Arbeit am Gedicht. Mittags Besuch des jungen Zarek in Sachen einer neuen vom Verlage Müller zu edierenden Zeit schrift, (sein Karl V wird dank meiner Empfehlung in Berlin wohl gespielt werden) und eines Hamburger Studenten, den die Cousine Manoela mir schickte. Spaziergang mit Zarek die Isar entlang. Nach Tische Wassermann-Lektüre. Zum Thee K.'s Mutter u. Hallgartens. Erika, Eissi und der kl. Hallgarten spielten auf der Diele Theater: Körners »Gouvernante«. Erbostheit Golos über den Erfolg des Stückes, da er keine Rolle hatte und als Theaterdiener im Frack sich nicht genügend auszeichnen konnte. Um 7 mit K.'s Mutter per Tram zur Stadt u. in den Klub, wo Wahlergebnisse bekannt gemacht werden sollten, woraus aber nichts wurde. Aß mit Dr. Mannheimer und Baron Mikusch. Geheimr. Riezler war anwesend. Prof. Oppenheimer, Dr. Brettauer, Schrenk, Endres. Unergiebig, unersprießlich. War müde und nervös nach dem Essen. Ging nach 10 Uhr, begleitet von Oppenheimer. Der Austausch fördert wenig. Man sagt immer dasselbe. Brettauer, sympathisch, hielt blutige Unruhen für unvermeidlich, da die jetzt Herrschenden sich nicht depossidieren lassen werden. Oppenheimer glaubt an die Möglichkeit der Verständigung mit England, das uns gegen Amerika nötig habe. Daß die Amerikaner Marseille zum grössten Hafen der Welt ausbauen, sei ein Vorzeichen des amerikanisch-englischen Wirtschaftskrieges. England könne u. a. eine deutsche Auswanderung großen Stils nach Amerika, also Arbeiterlieferung dorthin nicht wünschen.
Quelle:
de Mendelssohn, Peter (Hrsg.), Thomas Mann. Tagebücher 1918-1921, Frankfurt am Main 1979, S. 133 f.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Mann#/media/File:DBP_1956_237_Thomas_Mann.jpg