Adenauer an Hirsch: Ihr versteht uns falsch!
Die gemischten Kurznachrichten der Greifenhagener Kreiszeitung spiegeln eine bewegte Zeit wieder. Gefangenenaustausch mit Polen, Sozialisierung von Bergwerken und Landarbeiterstreiks. Am wichtigsten ist aber wohl eine Meldung aus den Rheinlanden, wo es zu einer Aussprache zwischen Konrad Adenauer (Zentrum), dem politischen Kopf derjenigen, die eine Autonomie des Rheinlandes von Preußen befürworten, und dem preußischen Ministerpräsidenten Paul Hirsch (SPD) kam. Beide Seiten sind erfreulicherweise um Ausgleich bemüht.
Volltext:
Politische Rundschau.
Deutsches Reich.
Deutsch-polnischer Geiselaustausch. Das Politische Departement des Obersten Polnischen Volksrats hat in einem Funkspruch an den preußischen Minister des Innern [Wolfgang Heine, Anm.] verlangt, daß die polnischen Internierten in Preußen namentlich in Schlesien, rasch und restlos freigelassen und in ihre Wohnorte zurückbefördert werden, damit auch die polnische Regierung den Rest der deutschen Internierten, deren größter Teil bereits in Freiheit gesetzt sei, entlassen könne. Der Minister des Innern hat in seiner ebenfalls durch Funkspruch übermittelten Antwort festgestellt, daß nach den vorliegenden Berichten zahlreicher Deutscher aus Polen in der letzten Zeit von polnischer Seite Tausende von Deutschen jeden Standes, Alters und Geschlechts interniert und nur wenige entlassen worden seien. Seitens der preußischen Regierung würden schon seit längerer Zeit Geiseln nicht mehr genommen. Sie sei nach wie vor bereit, wegen der gegenseitigen, restlosen sofortigen Freigabe aller Internierten in Unterhandlungen zu treten und erwarte alsbaldige Erklärung zu diesem Vorschlage.
Drohender Landarbeiterstreik in Hessen-Kassel. Der Landarbeiter-Verband Kassel beschloß, in einem Ulitmatum die Annahme eines weitgehenden Tarifvertrages bis 1. August zu fordern, widrigenfalls ein allgemeiner Ausstand erfolgen werde.
Sozialisierung der Ilfelder Erzlager. Um die durch den Friedensvertrag erschwerte Verordnung der Deutschen, eine Hütte mit Erzen nach Möglichkeit sicherzustellen, ist die Überführung der reichen Erzlager des Ilfelder-Psiaer Bezirkes in Reichsbesitz in Aussicht genommen. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird dem Staatenausschuß und der Nationalversammlung noch in dieser Tagung zur Beschlußfassung zugehen.
Über die Zukunft der Rheinlande finden in Düsseldorf unter Vorsitz des Ministerpräsidenten Hirsch Besprechungen mit den Interessenten statt. Der Minister wies darauf hin, daß die rheinische Frage eine der wichtigsten, ja vielleicht die bedeutendste Frage für Preußen und Deutschland darstelle. Der Ministerpräsident erklärte weiter, daß die Staatsregierung nach wie vor Gegner eines solchen Planes sei und nicht nur im preußischen, sondern auch im deutschen Interesse auf diesem Standpunkt stehe. Oberbürgermeister Adenauer-Köln betonte, daß die Frage vielfach falsch beurteilt werden. An Unternehmungen, wie sie von Dorten und Genossen in Wiesbaden durchgeführt worden seien, denke im Rheinland kein anständig denkender Mensch. Man dürfe aber nicht verkennen, daß die Lage des Rheinlandes ungemein schwierig sein, was außerhalb der Rheinprovinz nicht beachtet werde. Es sei notwendig, das deutsche Einheits- und Zugehörigkeitsgefühl zu stärken.
Quelle:
Greifenhagener Kreiszeitung Nr. 86 vom 26.7.1919
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1919-07-26/26824255/
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Adenauer#/media/Datei:1896_Konrad_Adenauer_01.JPG