Bildung für alle!
Die Weimarer Republik war in vielerlei Hinsicht eine Aufbruchszeit. Im Bereich der Schulbildung brachen sich schon 1919 zahlreiche Reformbewegungen Bahn. Thüringen und insbesondere Jena ist in diesem Sinne ein Zentrum der Reformpädagogik. Der sich hier präsentierende Verein für herbartische Pädagogik zählt zwar nicht zur Reformpädagogik, aber verdeutlicht die Vielfalt an Bildungsidealen, die bereits im damaligen Jena existierte.
Volltext:
Verein der Freunde Herbartischer Pädagogik für Thüringen.
Der Verein hat in Verfolgung seiner Ziele eine Eingabe an die deutsche Nationalversammlung gerichtet, die von Schulrat Dr. Reukauf in Koburg verfaßt wurde. Es handelt sich darin in der Hauptsache um die Regelung der Schulfrage. Der Verein vertritt die Ueberzeugung, daß die Ordnung der Erziehungs- und Schulfragen in der Hauptsache durch die Gliedstaaten des deutschen Reiches unter Mitwirkung von Schulsynoden erfolgen sollte. Er begrüßt es jedoch, daß in einer Reihe von Punkten gemeinsame Bestimmungen vom Reich getroffen werden. Insbesondere wünscht er von einem Reichsschulgesetz, für Gliederung der Schulen, Schulverwaltung und Lehrerbildung eine Anzahl Grundsätze festzulegen, die im wesentlichen besagen: Gleichmäßige Festlegung der Volksschul- und Fortbildungsschulpflicht für das ganze Reich; für die Volksschulen Beginn der Schulpflicht mit vollendeten 6. Lebensjahre, Mindestdauer der Schulpflicht 8 Jahre; Anerkennung der 4- oder 6jährigen Grundschule als Pflichtschule für alle Kinder des deutschen Volkes mit Aufhebung der Vorschule usw.; Begründung eines gemeinsamen Unterbaues für alle mittleren und höheren Schulen, so daß der Entschluß für eine besondere Art der höheren Schulen frühestens am Ende des 6. Schuljahres zu erfolgen braucht, gleichzeitig auch begabten Volkschulkindern Eintrittsmöglichkeiten in die mittleren und höheren Schulen nach dem 6. Schuljahr gewahrt bleibt; Anerkennung der neu zu begründenden oder durch Umgestaltung von Seminaren einzurichtenden "Deutschen höheren Schule", in welcher das deutsche Bildungsgut den Kern bildet, als einer zwar anders gearteten, aber den bisherigen höheren Schulen gleichwertigen Schulart, die den Eintritt in eine der höheren Fachschulen gewährleistet; völlige Befreiung der öffentlichen Schulen von der Leitung und Aufsicht der Kirchen; Durchführung der reinen Fachaufsicht; Verleihung des Mitbestimmungsrechts bei der Schulverwaltung an die Lehrerschaft; Begründung von Elternbeiräten (Schulpflegeschaften) für alle Arten von Schulen; Neugestaltung des Lehrerbildungswesens in der Weise, daß die Allgemeinbildung der Lehrer aller Schularten auf einer der höheren Schulen, die Fachbildung auf pädagogischen Akademien mit mindestens zweijähriger Studienzeit erfolgt, an jeder Universität sollen ordentliche Lehrstühle für Pädagogik eingerichtet werden, einer für historische, ein zweiter für systematische Pädagogik. Letzterer ist mit einem pädagogischen Seminar zu verbinden, dem eine Uebungsschule anzugliedern ist.
Quelle:
Jenaer Volksblatt Nr. 173 vom 27.7.1919
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00259096/JVB_19190727_173_167758667_B2_002.tif?logicalDiv=jportal_jparticle_00637860
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Rein#/media/Datei:WilhelmReinFriedrichHaack.jpg