Es gärt in der Truppe
Die Armee ist 1919 in einem prekären Zustand. Nach einer ad hoc Reorganisierung wurde sie - entgegen ihren eigentlichen Zweck - wiederholt im Innern zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt. Es kommt wie es kommen musste. Die Armee gerät zwischen die Fronten des innenpolitischen Kampfes und wird selbst zu einem interessengeleiteten Akteur der Innenpolitik. Meldungen wie diese hier aus Königsberg sind nur der Ausblick auf weitere Zusammenstöße zwischen zivilen und militärischen Institutionen.
Volltext:
Unerfreuliches von der Reichswehr.
Ueber die Vorgänge, die sich am Freitag in Königsberg ereigneten, erfahren die P.P.R.: In die Stadtverordnetensitzung in Königsberg drangen mit Handgranaten, Karabinern und Pistolen bewaffnete Soldaten ein, verlasen eine Erklärung der Reichswehr und Grenzschutzsoldaten und versuchten darauf, die Stadtverordneten Mittwoch und Dr. Gottschalk von der USPD zu "verhaften". Es entstand ein großer Tumult. Der Stadtverordnetenvorsteher forderte die Soldaten auf, den Sitzungssaal zu verlassen. Dieser Aufforderung leisteten die Soldaten jedoch nicht Folge. Schließlich sah er sich genötigt, die Sitzung auf eine halbe Stunde zu unterbrechen. Die Stadtverordneten Mittwoch und Dr. Gottschalk erklärten sich bereit, vor dem Magistratsgebäude den Soldaten wegen der Angriffe der unabhängigen "Freiheit" Rede zu stehen. Umringt von den Soldaten zogen sie vor das Haus und nahmen die Beschuldigungen gegen die Truppen im allgemeinen zurück. Sie erklärten, nur diejenigen unter den Truppen beschuldigt zu haben, die sich wirklich vergangen hätten. Die umliegenden Straßen des Rathausplatzes waren von den Truppen in weitem Umfange abgesperrt. Auf dem Platze selbst standen die Soldaten, zum Teil schwer bewaffnet, und hörten in Ruhe die Erklärungen der beiden Stadtverordneten an. Nachdem dies geschehen war, ließ man die beiden Stadtverordneten ihres Weges ziehen. Die Absperrung wurde aufgehoben, die Truppen verließen in geordnetem Zuge den Platz. Unterwegs kam es zu Ausschreitungen. Angeblich sollen die Truppen beschimpft und sogar aus einem Hause beschossen worden sein. Die Truppen eröffneten erst ein blindes Feuer, gaben jedoch nachher einige scharfe Schüsse ab, wobei eine Frau und ein Junge verletzt wurden.
Königsberg, 19. Juli. Das Gouvernement richtete an Magistrat und Stadtverordnete ein Telegramm, in dem das lebhafteste Bedauern über die Vorgänge in der Stadtverordnetenversammlung vom 18. Juli ausgesprochen und mitgeteilt wird, daß eine gerichtliche Untersuchung im Gange sei, und daß die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen würden.
Auch das Generalkommando hat den beiden Körperschaften das Bedauern über die durch Heeresangehörige veranstaltete Demonstration und die anschließenden Vorgänge in der Stadtverordnetenversammlung ausgesprochen.
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Die Uebergriffe in Königsberg, die einen unerhörten Angriff auf eine parlamentarische Körperschaft bedeuten, sind in keiner Weise zu entschuldigen, sondern verlangen strengste Sühne. Wenn nach den unerhörten Uebergriffen der Truppen Beschimpfungen derselben vorgekommen sind, so kann man sich wirklich darüber nicht wundern.
Quelle:
Volkszeitung für Sachsen-Weimar-Eisenach Nr. 167 vom 21.7.1919
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00212318/WVZ_1919_07-09_0229.TIF?logicalDiv=jportal_jpvolume_00145480
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichswehr#/media/Datei:Kommandostruktur_des_Reichsheeres.jpg