Finanzminister Erzberger spricht - Zischen rechts
Matthias Erzberger war einer der umstrittensten Politiker seiner Zeit. Doch nicht nur als Unterzeichner des Waffenstillstandes vom 11. November 1918 erregte er den Hass des rechten Lagers. Auch in seiner neuen Rolle als Reichsfinanzminister machte sich Erzberger nicht beliebt. Die von ihm vorangetriebene Reform des Steuerwesens stellte das Finanzwesen des Staats auf neue Beine. Bis heute wirkt die Erzbergersche Finanzreform nach. Doch erhöhte sich nach der Reform auch die steuerliche Belastung enorm. Erzberger begründete diesen Schritt vor der Nationalversammlung mit den Folgen des Krieges - und erntete neben Zustimmung von links auch den Hass von rechts.
Volltext:
Meine Damen und Herren! Der Krieg ist der Verwüster der Finanzen. Der hinter uns liegende Weltkrieg ist der erfolgreiche Schrittmacher des Weltkonkurses. Da ich die Ehre habe, da erste Mal als Reichsfinanzminister vor Ihnen zu sprechen, lege ich ein offenes Geständnis ab: zweimal nur in meinem politischen Leben bin ich erschrocken, das eine Mal, als gegen meine Erwartung und gegen vorherige Verabredung der Reichskanzler am 5. November 1918 mich mit der Führung der Waffenstillstandsverhandlungen beauftragte; es war vormittags 12 Uhr, und abends 5 Uhr mußte ich abreisen mit unbekanntem Ziel und mit dem bindenden Auftrag, dem deutschen Volk den Waffenstillstand unter allen Umständen zu bringen. Den zweiten politischen Schreck erlebte ich am 21. Juni 1919, als der Reichspräsident zu meiner großen Überraschung bei der Bildung der jetzigen Regierung mich aufforderte, das Reichsfinanzministerium zu übernehmen. Die Bedenkzeit war kurz; ich mußte ja sagen.
[…]
Eine wesentliche Voraussetzung für den Wiederaufbau des staatlichen Lebens sind geordnete Finanzen. Ohne Sicherheit im Finanzwesen entwickelt sich kein Volk, blüht kein Staatswesen. Darum ist die erste Arbeit beim Wiederaufbau eine grundlegende Finanzreform, kurz gesagt, ein wohldurchdachtes und gut begründetes System gerechter Steuerverteilung. Diese Arbeit eilt, weil für den Wiederaufbau des eigenen Wirtschaftslebens es notwendig ist, zu wissen, wie groß die Gesamtbelastung an Steuern und Abgaben sich gestaltet. Der Friede wird über kurz oder lang ein Sinken der Preise bringen. In diesem Augenblick kann die neue Steuerlast eher dazwischen geschoben werden, als wenn unser Wirtschaftsleben wieder in Ordnung gekommen ist und dann durch neue Steuern abermals schwer erschüttert werden müßte.
Keine Rettung bringt der Staatsbankerott; denn Staatsbankrott ist heute Volksbankerott im Innern und nimmt Deutschland im Ausland jeden Kredit. Deutschland aber braucht Kredit, viel Kredit, um leben und sich entwickeln zu können. Die in manchen Kreisen leicht verfänglichen Ratschläge auf Annullierung der Kriegsanleihe oder Verkündung des allgemeinen Bankerotts mache ich nicht mit. Der Zinsendienst für unsere Kriegsanleihe als ausgesprochene Volksanleihe muß gesichert sein.
(Bravo! im Zentrum und rechts.)
[…]
Gerechtigkeit im gesamten Steuerwesen zu schaffen ist mein oberstes Ziel. Gerechte Steuern stellen eine rasch wirkende vorzügliche Sozialisierung dar;
(sehr richtig!)
Sieh treffen alle, sie erfassen jeden nach seiner Leistungsfähigkeit unter ausreichender Berücksichtigung des Familienstandes; sie haben aber vor der restlosen Kommunisierung eines voraus: die private Initiative bleibt bestehen, der Selbsterhaltungstrieb und begründete Eigennutz sucht nach höchster Einnahme, die Sorge für die Familie bringt die Auslösung der höchsten Arbeitsleistung. Der erzielte Überschuß wird aber zum erheblichen Teil wieder im Wege der Steuer für die Volksgemeinschaft abgenommen. Gerechte Steuern müssen die Überkapitalisierung eines Volkes verhindern. Sie tun es dann, wenn gewisse Arten von Einnahmen vorbelastet werden. Das Kapitaleinkommen muß eine erhebliche Vorbelastung vor dem Arbeitseinkommen tragen.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Ein guter Finanzminister ist der beste Sozialisierungsminister.
(Erneute Zustimmung.)
Solche Sozialisierung tut uns bitter not. Schon im Kriege war der Unterschied in Deutschland zwischen den Besitzenden und den Nichtbesitzenden zu groß und damit zur sozialen Ungerechtigkeit und zu einer Krankheit am Wirtschaftskörper geworden.
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)
Der äußerlich glänzenden ökonomischen Entwicklung Deutschlands bei Ausbruch des Weltkrieges stand eine innerliche Entfremdung der besitzenden und der nichtbesitzenden Klassen gegenüber,
(sehr richtig! rechts)
die nur für kurze Zeit durch die patriotische Begeisterung der ersten Kriegswochen überbrückt, im späteren Verlauf des Krieges verhängnisvolle Wirkungen zeitigen mußte.
(Zustimmung.)
Der Grundfehler der Wirtschaftspolitik im Kriege läßt sich auf kurze Formel bringen, daß man durch die allgemeine Wehrpflicht die lebendigen Leiber mobil gemacht hat, daß aber die allgemeine Wehrpflicht haltmachte vor dem Kapital und dem Besitz.
(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)
Nur das Blut, nicht aber das Gut verlangte man freiwillig und ohne Zinsen für das Vaterland.
(Erneute lebhafte Zustimmung.)
[…]
Der damalige Vizekanzler und leichtfertigste aller Finanzminister, Staatsminister Helfferich
(lebhafte Zustimmung links – große Unruhe und Widerspruch rechts)
hat dieser Tage von den inneren Mächten der Zersetzung gesprochen,
(wachsende große Unruhe und andauernde stürmische Pfuirufe rechts – zustimmende Gegenrufe links – Glocke des Präsidenten)
Die die Katastrophe des moralischen und nationalen Zusammenbruchs verschuldet haben. Meine Herren (nach rechts), ich weiß schon lange, daß Sie über gute Nerven und gute Lungen verfügen; neu ist mir, daß Sie auch über Schimpfworte im parlamentarischen Leben verfügen können.
(Große Unruhe rechts. – Zustimmung links.)
[…]
Den Reichtum hat uns der Krieg genommen. Die Welt hat uns die internationale Gerechtigkeit versagt; um so leidenschaftlicher und energischer aber wollen wir arbeiten für eine in Gerechtigkeit wieder aufblühende Heimat und all unser Sorgen und Mühen widmen: dem armen, aber gerechten Deutschland. Wenn unser Volk nicht in allen seinen Schichten jetzt nicht mit allen Kräften an die Arbeit geht, sind wir rettungslos verloren. Das muß dem deutschen Volke endlich zu vollem Bewußtsein kommen. Leisten Sie, meine Damen und Herren von der Nationalversammlung rasche und ganze Arbeit! Geben Sie hierdurch dem Volke das edelste Beispiel vaterländischer Pflichterfüllung, damit der schwere Aufstieg aus hartem Kriegsleid zu Friedensglück – das zwar stark getrübt – sofort beginnen kann. Gerechtigkeit, Arbeit und Vaterland müssen der helltönende Dreiklang sein, der das neue Deutschland einläutet und bessere Zeiten ankündet.
(Lebhafter Beifall im Zentrum und links. – Zischen rechts. –
Wiederholter lebhafter Beifall im Zentrum und links.)
Quelle:
Stenographische Berichte der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, 50. Sitzung vom 8. Juli 1919.
In: https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_wv_bsb00000011_00647.html
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Erzberger#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_146-1989-072-16,_Matthias_Erzberger.jpg