Lübecker Volksbote: "Keine Revolution; lieber ein Arbeitsamt!"
Das Organ der MSPD im Freistaat Lübeck schließt sich den Aufrufen zu Gewaltverzicht an und reagiert auf Anfeindungen der lokalen USPD. Als einziger deutscher Staat erlebt die bereits seit Jahrhunderten freie Hansestadt keine Revolution. In der Bürgerschaft wird stattdessen über eine Initiative Johannes Stellings (MSPD) debattiert, der die Errichtung eines Arbeitsamtes für den Freistaat fordert.
Stelling wird später Ministerpräsident im Nachbarland Mecklenburg-Schwerin. Als einziges Mitglied des SPD-Parteivorstandes flieht er 1933 nicht aus dem Reich und wird bereits im Juni d.J. in der "Köpenicker Blutwoche" ermordet.
Die im unteren Text genannte USPD-Politikerin Luise Zietz publizierte zahlreiche Texte nicht nur zu frauenrechtlichen Themen und sollte als Mitglied der Weimarer Nationalversammlung noch eine gewisse Rolle spielen.
Volltext:
Aus Lübeck und den Nachbargebieten
Achtung, Parteigenossen! Mittwoch abend findet im Gewerkschaftshause eine wichtige Mitgliederversammlung statt, in welcher über die Lübecker Wahlreform und "Zwischen Krieg und Frieden" referiert werden soll. Zahlreicher Besuch ist dringend erwünscht. Mitgliedsbücher müssen vorgezeigt werden.
Für die Errichtung eines Arbeitsamtes
Von der sozialdemokratischen Fraktion ist durch den Genossen [Johannes] Stelling dem Wortführer der Bürgerschaft folgender Antrag zugegangen:
Die Bürgerschaft ersucht den Senat, ihr baldmöglichst eine Gesetzesvorlage auf Errichtung eines Arbeitsamtes entgegenzubringen.
Die "Unabhängigen" verbreiten "zur Aufklärung" in den hiesigen Betrieben wieder ein Flugblatt, das "Die Angst der Regierungssozialisten vor der Abrechnung" überschrieben ist und die im Hamburger Gewerkschaftshause von den Unabhängigen gesprengte Frauenversammlung zum Gegenstand hat. Natürlich werden die Vorkommnisse vollkommen verdreht wiedergegeben und die Tatsachen auf den Kopf gestellt. Alle Schuld wird auf die Genossin [Johanne] Rietze [MSPD] geschoben. Sie ganz allein soll die Schuld an der gestörten Versammlung haben. Wer die Genossin Reitze kennt, der weiß, daß die Behauptungen der "Unabhängigen" unwahr sind. Und wer Frau [Luise] Zietz [USPD] kennt - dies Kind, kein Engel ist so rein - weiß auch, daß das Gegenteil zutrifft von dem, was das "unabhängige" Flugblatt behauptet. Auch die sonstigen Angaben, die das Flugblatt gegen die "Regierungssozialisten" ins Feld führt sind unzutreffend und irreführend. Die Absicht, das Ansehen der alten Partei herabzusetzen, liegt zu klar. Es hieße den Quertreibern zu viel Ehre antun, noch mehr Raum über ihr Elaborat zu verschwenden. Die Arbeiter merken sicher, auf was es ankommt.
Quelle:
Lübecker Volksbote Nr. 260 / Jg. 25 vom 5.11.
In: http://library.fes.de/cgi-bin/populo/zeitung.pl?f_MMM=lvb191811&yea=1918&t_monlvb&mon=November
Bild 1:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:HL_Rathaus_Gedenktafel.jpg
Bild 2:
https://de.wikipedia.org/wiki/Luise_Zietz#/media/File:ZietzLuise.jpg