Rosenheimer Anzeiger: "Soldatenrat sorgt sich um öffentliche Ordnung; und Staatseigentum"
Der Rosenheimer Anzeiger berichtet neben den neuesten Entwicklungen aus München, wo das provisorische Parlament Bayerns zusammentrat, auch über den lokalen Volks- und Soldatenrat. Dieser habe sich auf seiner jüngsten Sitzung eingehend mit dem Problem des Diebstahls von Staatseigentum insbesondere aus Armeebeständen befasst und sei um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Lebensmittelversorgung bemüht. Selbst der Schloßherr von Neubeuern habe sich als Neu-Bauer angeboten. Ansonsten sorge der Soldatenrat vor allem für die Einhaltung der Polizeistunde. Ausufernde Tanzvergnügen werde man unterbinden! - Von Verstaatlichungswünschen oder gar "Bolschewismus" keine Spur...
Volltext:
Sitzung des Rosenheimer Volks- und Soldatenrates
am 14. November
Zu Beginn der Sitzung betonte der Vorsitzende Göpfert die Notwendigkeit der Reichseinheit. Bayern könne nur im Anschluß an das Reichsganze existieren.
Soldatenrat Kopp berichtete über die Zustände beim Grenzschutzkommando. Die Mannschaften sind dort vielfach dem Truppenteil entlaufen; sie verkaufen Pferde, Ausrüstungsgegenstände usw. Das verkaufte Staatseigentum wird dann vielfach über die Grenze geschafft. Es seien bereits schon mehrere Hundert Gewehre unbefugt veräußert worden. Weiter wurde ein Fall aus Rußdorf berichtet, wo einer dort einquartierten Haubitzenbatterie zwei schwere wertvolle Pferde im Werte von 8.000 Mrk. entwendet wurden. Mit den Pferden sind auch zwei Kanoniere verschwunden. Das Bezirksamt soll veranlaßt werden, die Bevölkerung unter Strafandrohung vor dem Ankauf dieser gestohlenen Sachen zu warnen, die Eigentum des Staates und ganzen Volkes sind. Die zu Unrecht erworbenen Gegenstände müssen abgeliefert werden. Bei durchreisenden Truppenteilen soll der Transportführer haftbar gemacht werden. Der Vorsitzende des Soldatenrates, Kopp, wird beauftragt, persönlich beim Ministerium für Militärangelegenheiten Weisungen zu erbitten, die diesen skandalösen Zuständen ein Ende machen. Bei dieser Gelegenheit wird Soldatenrat Kopp auch die Wünsche verschiedener Truppenteile in Rosenheim vertreten.
Vorsitzender Göpfert erstattet Bericht über die Lebensmittelversorgung in Rosenheim. Hier lagern zurzeit 28.600 Zentner Kartoffeln, 1.200 Zentner Rüben, weiter sollen angeführt werden 1.400 Zentner Sauerkraut und fünf Waggon Dotschen [bayerisch für Kohl-/Steckrüben, Anm.]. Die Lagerung der Kartoffeln ist höchst mangelhaft. Im Duschlkeller sollen sie meterhoch aufgeschichtet liegen. Die vorhandenen Luftschächte wurden nicht eingesetzt; wenn dort nicht baldigst Abhilfe geschaffen wird, gehen die Kartoffeln zugrunde. Die Volksräte Breitenhuber und Weiß werden künftighin die Lager regelmäßig besuchen und die pflegliche Behandlung veranlassen.
Nach dem vorliegenden Bericht des Oberwachtmeisters ist es in letzter Zeit verschiedentlich zu Polizeiüberschreitungen gekommen. In der Wirtschaft "Zum Mohrenschimmel" saßen die Gäste bis tief in die Nacht hinein beisammen und bedrohten die abschaffenden Schutzleute. Auch Tanzvergnügen wurden abgehalten. Künftighin werden der Wirtschaftspatrouille zwei Militärposten mitgegeben. Des weiteren weist der Volks- und Soldatenrat die Bevölkerung streng darauf hin, daß bei weiterer Abhaltung solcher Tanzvergnügen und Polizeistundenüberschreitungen die Polizeistunde eingeschränkt wird.
Unter dem Einlauf befindet sich auch ein Brief der Fleischwerke Rosenheim mit berichtigenden Angaben zu einem Artikel des "Wendelstein" und der Bestätigung ihres Anerbietens, wöchentlich einen Zentner konserviertes Voressen (Auslandsware) für die hiesige Volksküche unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Der Volks- und Soldatenrat Rosenheim legt Gewicht auf die Feststellung, daß das Automobil nicht von Herrn Friedrich dem Volks- und Soldatenrat angeboten wurde, wie in dem betr. Artikel des "Wendelstein" gesagt ist, sondern daß der Volks- und Soldatenrat den Besitzer um Ueberlassung ersucht habe. Von einem Schachzug könne nach dieser Richtung hin nicht die Rede sein. Das Anerbieten der Ueberlassung des Voressens wurde im Interesse der notleidenden Bevölkerung mit Dank angenommen.
Der Schloßherr von Neubeuern, Baron v. Herwarth, bis vor kurzem Oberst im Großen Hauptquartier, hat dem Volks- und Soldatenrat mitgeteilt, er wolle als schlichter Landwirt gerne seine Kraft in den Dienst des Volkes stellen. Von seinem Anerbieten wird dankend Kenntniss genommen und im Bedarfsfall Gebrauch gemacht. Die Frau Baronin v. Herwarth wird ihr seit Kriegsbeginn unterhaltenes Lazarett nach wie vor weiterführen.
Quelle:
Rosenheimer Anzeiger Nr. 265 / Jg. 64 vom 16.11.1918
In: http://daten.digitale-sammlungen.de/0006/bsb00063943/images/index.html?fip=193.174.98.30&seite=1157&pdfseitex=