Vorwärts: Karl Liebknechts Befreiung
Der Vorwärts berichtet über die Bemühungen Scheidemanns zur Begnadigung von Karl Liebknecht. Der ehemalige Reichstagsabgeordnete saß wegen "Kriegsverrats" über zwei Jahren im Zuchthaus.
Volltext:
Wie uns gemeldet wird, ist es den Bemühungen der Sozialdemokraten in der Regierung, besonders des Genossen Scheidemann, gelungen, die Freilassung Karl Liebknechts aus dem Zuchthaus durchzusetzen. Wir begrüßen diesen Erfolg als ein Zeichen der beginnenden freien Zeit mit Genugtuung.
Am 23. August 1916 war der damalige Reichstagsabgeordnete und Armierungssoldat Dr. Karl Liebknecht vom Oberkriegsgericht in Berlin als zweiter Instanz wegen versuchten Kriegsverrats, erschwerten Ungehorsams du Widerstands gegen die Staatsgewalt zu vier Jahren und einem Monat Zuchthaus und sechs Jahren Ehrverlust verurteilt worden.
Am 1. Mai 1916 hatte auf dem Potsdamer Platz eine Kundgebung einiger hundert Personen stattgefunden, an der sich auch Liebknecht beteiligte. Er wurde in dem Augenblick verhaftet, in dem er rief: „Nieder mit der Regierung, es lebe der Frieden!“ Da die Enteneimperialisten damals noch allgemein mit einer deutschen Revolution rechneten, die ihnen den Sieg erleichtern sollte und dieser Gedanke jede Friedensaktion erschwerte, schien und diese Demonstration unzweckmäßig. Ein „Verbrechen“ haben wir in ihr niemals erblicken können.
Am 11. Mai 1916 beriet der Reichstag über die Auslieferung Liebknechts. In der Debatte sprach Gen. Landsberg entschieden gegen die Auslieferung, und unsere Genossen stimmten selbstverständlich gegen sie. Leider drangen sie gegen die bürgerliche Mehrheit, die noch tief in den Banden der Kriegspsychose verstrickt war, nicht durch. Die Auslieferung wurde beschlossen. Es war kein Ruhmestag für das hohe Haus!
Wenn Liebknecht jetzt, nach zweieinhalb Jahren härtester Freiheitsberaubung wieder freigelassen wird und ihm dadurch noch zwei Jahre Zuchthaus erspart bleiben, so werden sich so manche der Abgeordneten, die damals für die Auslieferung stimmten, mit uns darüber freuen.
Liebknecht, der, wie wir zu unserer Freude hören, keinen schweren Schaden an seiner Gesundheit genommen haben soll, ist eine durch und durch ehrenhafte Persönlichkeit. Auch in der schärfsten Gegnerschaft gegen die Partei, von der er sich trennte, hat r niedrige Kampfesweisen, deren sich andere leider nur zu oft bedienten, stets verschmäht. Und so erklärt sich, daß viele mit dem Herzen bei ihm waren, wenn auch der Kopf nicht mitwollte. Sie bewahrten ihm ihre Sympathie, wenn sie auch seine Politik ablehnen mußten. Was im Kriege der Leutnant ist, der sich tollkühn dem Feinde entgegenwirft, das war und ist Liebknecht im politischen Kampf: ein Draufgänger, kein Stratege!
Ihn freizubekommen, hat nicht geringere Mühe gekostet, da man von seiner Entlassung nachteilige Folgen für die militärische Disziplin befürchtete. Wir halten diese Befürchtung für grundlos, und würden sie auch für grundlos halten, wenn die Amnestie auch noch weitere Kreise der verurteilten Militärpersonen eraßte. In „warnenden Exempeln“ fehlt es – leider! - noch immer nicht, und den Sozialdemokraten, die für die Befreiung aller ehrenhaften Personen eintreten, die nur durch ihre Gesinnung mit dem Strafgesetz in Konflikt gekommen sind, bleibt noch genug zu tun übrig!
Quelle:
Der Vorwärts vom 23. Oktober 1918, 35:292 (1918), S. 1 f.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Liebknecht#/media/File:KLiebknecht.jpg