Weisung des Chefs der Marinestation der Ostsee zur Aufrechterhaltung der Disziplin
Am 29. September hatte Erich Ludendorff die Reichsregierung aufgefordert, Verhandlungen über einen Waffenstillstand aufzunehmen. Das war faktisch das Eingeständnis, dass der Krieg verloren war. Wer wollte jetzt noch kämpfen? In den folgenden Wochen nahm die Disziplin in Heer und Marine zusehends ab. Die militärische Führung versuchte händeringend, dem entgegenzuwirken. Sie sieht vor allem ‚hetzerische Umtriebe‘ als eine Ursache – eine Vorstellung, die später den Nährboden für die Dolchstoßlegende bot.
Volltext:
Wiederholt habe ich bereits in mündlicher Anweisung auf das nachstehend Behandelte hingewiesen; eine Besserung in Bezug auf die von mir gerügten Mängel habe ich jedoch nicht feststellen können, im Gegenteil hat mir das weitere Nachlassen der Manneszucht in den Marine-Garnisonen zu ernsten Besorgnissen Anlaß gegeben. Dieses Nachlassen kommt weniger in der prozentualen Vermehrung der disziplinaren und gerichtlichen Strafen zum Ausdruck als vielmehr in der auf mannigfache Weise erkennbaren Erscheinung, daß der Einfluss der Vorgesetzten auf ihre Leute im Schwinden begriffen ist. Ich verkenne durchaus nicht die schwierigen Verhältnisse, die der Erhaltung eines guten Geistes und einer straffen Manneszucht entgegenstehen. Die lange Kriegsdauer, hetzerische Umtriebe vaterlandsfeindlicher Elemente, der Umfang, den die Kommandierung von Mannschaften zum Arbeitsdienst angenommen hat, nicht zuletzt auch die teilweise ungünstigen Unterbringungsverhältnisse sind Feinde der Disziplin. Diese Schwierigkeiten müssen aber überwunden werden; und sie können und werden es, wenn die Vorgesetzten sich mit dem nötigen Ernst und Pflichtgefühl dieser in ihren Händen ruhenden z. Zt. wichtigsten Aufgabe widmen.
Wir stehen gegenwärtig vor besonders schwierigen Verhältnissen. Das Zurückströmen großer verschiedenartiger Mannschaftsmengen in die Garnison, während auf der anderen Seite keine Entlassungen stattfinden, ist geeignet die Manneszucht weiterhin ungünstig zu beeinflussen. Umsomehr ist es Pflicht der Vorgesetzten, ihre ganze Kraft für die Aufrechterhaltung eines guten Geistes in der Truppe einzusetzen. Der Geist der Vorgesetzten ist der Geist der Truppe.
Der erste Träger eines gesunden Geistes und einer straffen Manneszucht ist an Land der Kompagnieführer. Streng, aber gerecht im Dienst, wohlwollen außer Dienst, soll er durch seine Persönlichkeit und das eigene gute Beispiel in und außer Dienst auf seine Untergebenen einzuwirken unermüdlich bestrebt sein. Das setzt voraus, dass er seinen Leuten nahe steht. Ich habe den Eindruck gewonnen (zuletzt bei den Mannschaftsbesichtigungen in diesem Monat), daß dies nicht überall der Fall ist, daß der Kompagnieführer sich zu sehr auf die Erledigung des Bürodienstes beschränkt und darüber die lebendige und dauernde Fühlungnahme mit seinen Leuten außer Acht läßt.
Der Abteilungskommandeur wie der Divisionskommandeur müssen ebenfalls täglich Zeit finden, sich über die richtige Handhabung des praktischen Dienstes ihrer unterstellten Truppenteile durch persönliches Nachprüfen und wo notwendig Nachhelfen Sicherheit zu verschaffen. Ihre persönliche Einwirkung auf die Truppe ist von höchstem Wert.
Im Hinblick auf die Verantwortung, welche die hohen militärischen Stellen für die Aufrechterhaltung der Disziplin stets und vor allem in unruhigen Zeiten tragen, ersuche ich die Herren Inspekteure pp., mit allen Mitteln darauf hinzuwirken, daß eine Besserung des gegenwärtigen Zustandes eintritt und daß mit rücksichtsloser Strenge gegen diejenigen vorgegangen wird, welche ihre Pflicht hierin vernachlässigen. Offiziere, die sich dieser Aufgabe nicht gewachsen zeigen, dürfen nicht an ihrem Platze geduldet werden. Dieser Aufgabe sollte und wird jedoch jeder pflichttreue, seiner Verantwortung sich bewußte Offizier gerecht werden; nur sträfliche Pflichtverletzung kann der Grund zu einem Versagen sein.
Von dem Inhalt dieses Schreibens ist den Kommandeuren und Schiffskommandanten in geeigneter Weise Kenntnis zu geben.
Über die getroffenen Maßnahmen und ihr Ergebnis erwarte ich zum 20. November kurze Meldung
B[achmann]
Quelle:
Original:
18. 10. 1918, Kiel, St. O. 27531 A 3, Persönliches! – MGFA MA/StO, Nr. 4863. H. IV. 2. Bd. 2, Entwurf.
In:
Matthias, Erich/ Meier-Welcker, Hans (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 1/II, Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914-1918, Düsseldorf 1970, S. 1318-1320.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kaiserliche_Marine#/media/File:Hochseeflotte_2.jpg